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Schwanentanz

Schwanentanz

Titel: Schwanentanz
Autoren: Jean Francis
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Doch nun musste auch sein Bruder bezahlen. Angesichts dessen, dass Seamus sein Leben nun in ihre Hände legen sollte, wurde Aiden erst bewusst, wie teuer dieser Preis für ihn selbst gewesen war.

     
    Die Straße erinnerte an eine riesengroße Schlange mit Magen-Darm-Beschwerden. Zumindest vermutete Suzanna, dass ein derart geplagtes Reptil sich ebenso obskur winden würde. Vielleicht hatten die Straßenbauer auch zu viel Whiskey intus gehabt. Sie folgte der Straße in ihrem Vauxhall Tigra um eine weitere Biegung, die sich um eine Kuhweide schmiegte, und passierte den dazugehörenden Bauernhof. Wenig später hüpfte der Tigra über eine Hügelkuppe und Suzanna fand sich unvermittelt im Dorf wieder. ‚Willkommen in Carryglen’, stand in gelber Kreide auf einem Schild, das aussah, als wäre es aus Europaletten zusammengezimmert. Im Schritttempo durchfuhr sie das Dorf und sah sich um. Es gab eine Tankstelle mit einer einzigen rostigen Zapfsäule, vor der ein alter Mann mit zwei struppigen Hunden in der Sonne döste. Schräg gegenüber befand sich ein Geschäft für Anglerbedarf, daneben ein Kino. Die Korbmarkise über dem Eingang hatte Löcher und in den Schaukästen hingen verblasste Filmplakate aus den Achtzigern. Zurück in die Zukunft und Red Sonja? Ob die hier eine Retro-Woche feierten? Unwahrscheinlich, dafür war der altmodische Eindruck zu authentisch. Die Wohnhäuser sahen zum größten Teil aus, als hätte seit einem Vierteljahrhundert niemand mehr an ihnen gearbeitet. Einige Fenster waren mit Brettern vernagelt. Außer einem über ihren Stock gekrümmten Großmütterchen sah sie keine weiteren Menschen. Das Dorf erinnerte an eine Geisterstadt. Suzanna schauderte, denn unweigerlich flutete das böse Gefühl aus der Nacht durch ihren Sinn. Die Vorstellung, aus dem Nichts beobachtet zu werden. Andererseits war hier alles voller Leben, viel mehr Leben, als überfüllte Städte bieten konnten. Vor vielen Häusern standen von Bienen umschwirrte Blumenkübel, Geranien hingen von den Fensterbänken und Schmetterlinge flatterten umher. Unter jeder zweiten Dachgaube klebten Schwalbennester. Aus Rissen mitten in der Fahrbahn wuchsen Flechten, Löwenzahn und sogar Kamillenblüten. Sie musste bremsen, als eine riesige graue Katze in Seelenruhe die Straße überquerte. Nicht einmal ein lautstarkes „Kuschkusch!“ durchs geöffnete Fahrerfenster veranlasste das Tier zur Eile. Stattdessen blieb es einen Moment stehen und blinzelte sie gelangweilt an. Im Haus zu ihrer Linken bewegte sich eine vergilbte Gardine, um deren Rand sich graue Finger krümmten. Wie Klauen. „Verschwinde schon, blödes Vieh“, zischte Suzanna und gab Gas, sobald die Katze aus dem Weg war. Himmel, war das unheimlich. Gleichzeitig war es ihr eine Warnung. Ihre Nerven lagen blank. Kein Wunder nach den Jahren, in denen hartes Training und Auftritte ihren Lebensrhythmus bestimmt hatten. Dieser Urlaub war mehr als notwendig, wenn sie nicht hysterisch werden wollte.
    Sie passierte eine Apotheke sowie eine Bäckerei, dann kam der Friedhof und schon hatte sie das Dorf hinter sich gelassen. Aber das konnte unmöglich alles gewesen sein. Es gab nicht einmal einen Supermarkt? Kein Schuhgeschäft? Was war das, ein Dorf oder ein Rattennest? Doch das Schild – sofern sich ein beschriftetes Stück Pappe unter einem Regenschutz aus Spanplatten so nennen durfte – sprach eine deutliche Sprache. ‚Auf Wiedersehen in Carryglen‘.
    Suzanna wendete den Wagen, fuhr ratlos ein Stück zurück und parkte vor der Bäckerei, wo sie zumindest etwas zu essen bekommen würde. Ein Glöckchen kommentierte das Öffnen der Tür. Der Laden war geräumiger, als es von außen den Anschein hatte. Es gab nicht nur eine Theke, hinter der eine Frau mit beiden Händen in einer Schüssel von der Größe eines Schweinetrogs hing, sondern auch ein Kühlregal und eine Tiefkühltruhe. Außerdem Regale mit Konserven und Toilettenartikeln. Offenbar war dies der Supermarkt. Okay … besser als nichts.
    Die Bäckerin kniff die Augen zusammen. Ohne sich zu einer Begrüßung herabzulassen oder das Teigkneten zu unterbrechen, behielt sie Suzanna im Blick.
    „Guten Morgen“, sagte Suzanna.
    Das Gesicht der Bäckerin zuckte in Richtung Wanduhr. Na gut, vielleicht gab es unter Bäckern andere Zeitrahmen, was den Morgen betrifft – vor allem, da es schon fast Mittag war –, eine Antwort wäre trotzdem nett gewesen. Aber nichts da. Die Frau gaffte ihr mit unverhohlener Neugier entgegen und blies
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