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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn
Autoren: Klaus Wanninger
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sagen?«
    Dr. Raile richtete sich kurz auf, schaute auf seine Uhr. Er ließ sich einige Sekunden Zeit, die Frage des Kommissars zu bedenken. »Jetzt ist es kurz nach acht. Heute Nacht hatten wir recht niedrige Temperaturen, ich denke mal, kaum über fünf Grad. Wenn sie die ganze Zeit hier auf dem Platz lag … Die Leichenstarre hat schon vor einer ganzen Weile eingesetzt. Auch wenn es auf den ersten Blick unwahrscheinlich klingt, aber acht, neun Stunden schätze ich schon.«
    »So lange?« Braig zeigte sich überrascht. »Hier in der Stadt?« Er schaute die Straße auf und ab, betrachtete die Umgebung. Auf beiden Seiten der Straße Mehrfamilienhäuser mit Wohnungen, Büros und Geschäften, am Ende des Parkplatzes das lang gezogene Gebäude der Verkaufsstelle des Bauernmarktes, gleich daneben ein Kinderspielplatz und ein schmaler, betonierter Weg, der zur Bahnhofstraße hochführte. Die Waiblinger Kollegen hatten alle Hände voll zu tun, die Neugierigen fernzuhalten.
    »Vor Mitternacht also«, setzte Braig hinzu. »Das kann doch wohl nur bedeuten, dass sie woanders getötet und erst heute Morgen hier abgelegt wurde, oder?« Er konnte sich nichts anderes vorstellen, angesichts der Lage der Straße mitten in der Stadt.
    »Da bin ich mir nicht sicher. Ich wüsste nicht, was dagegen spricht, dass es hier geschah. Medizinisch, meine ich. Und die Hecken dort vorne …« Der Arzt deutete auf die Stelle, die die beiden Kriminaltechniker seit einiger Zeit analysierten.
    »Blut«, rief Helmut Rössle, »von wie viele Persone wisset mir noch net. I denk, die hent hier kämpft. Arme Frau.«
    »Und niemand hat sie gehört oder früher entdeckt?« Braig blickte sich fragend um. Kurz nach sechs am frühen Morgen war ein Mann, der seinen Hund ausführte, auf die Leiche aufmerksam geworden und hatte sie der Polizei gemeldet. Das Tier war wenige Meter vor ihm gelaufen, hatte sich plötzlich auf einen dunklen Schatten unmittelbar am Rand des Parkplatzes gestürzt und seltsam gebellt. Beunruhigt war Franz Weifler seinem Hund gefolgt, hatte in der Dämmerung der frühen Stunde die Umrisse der jungen Frau entdeckt.
    »Ich rannte sofort nach Hause und benachrichtigte Ihre Kollegen«, hatte er Braig erklärt, »meine Frau ist diese Woche bei ihrer Schwester und hat ihr Handy dabei, darum konnte ich nicht sofort anrufen.«
    Der Kommissar hatte ihn gleich nach seinem Eintreffen in Waiblingen befragt und sich den Vorgang genau beschreiben lassen. Zwischen sechs und halb sieben morgens pflegte Weifler seinen Hund auszuführen, weil er danach zur Arbeit musste, jeden Tag auf den gleichen Wegen. Braig sah keinen Anlass, dem Mann zu misstrauen.
    »Nachts ist hier nicht viel los«, erklärte Dr. Raile, »zumindest an einem normalen Wochentag im November wie heute. Am Wochenende schon eher.«
    Braig nahm die Aussage des Arztes zur Kenntnis, hatte Schwierigkeiten, sich auf die weitere Ermittlung zu konzentrieren. Die kalte, feuchte Luft und das blasse Licht machten ihm zu schaffen. Er fröstelte, öffnete mit klammen Fingern seine Jacke, zog seinen Schal fester.
    Kurz nach halb sieben war er geweckt worden, die Botschaft des Waiblinger Leichenfundes am Ohr. Ohne Frühstück hatte er sich zum Fundort begeben, hungrig, verschlafen und mit bohrenden Schmerzen im Kopf.
    Es war spät geworden am Abend zuvor. Den ganzen Tag über hatten sie sich – auf besonderen Wunsch des Wirtschaftsministeriums, wie die Sache vornehm umschrieben wurde – ohne Pause bemüht, einen als vermisst gemeldeten führenden Manager eines großen Konzerns aufzuspüren – ohne jeden Erfolg. Bis dann kurz nach 21 Uhr klar geworden war, dass der Mann einen geschäftlich bedingten Auslandsaufenthalt dazu genutzt hatte, einen privaten »Wellness-Tag« anzufügen, wie auch immer dies zu interpretieren war. Mitten in all dem Frust und der Hektik ihrer mühseligen Arbeit hatte Braig erfahren, dass Ann-Katrin Räubers Operation im Stuttgarter Diakonissenkrankenhaus am selben Morgen nicht ohne Komplikationen verlaufen war. Kurz vor 16 Uhr, mitten in ihren Ermittlungen um den Verbleib des Managers, hatte er die Klinik aufgesucht, von den betreuenden Schwestern jedoch nur erfahren, dass seine Freundin noch zu erschöpft und in den nächsten Stunden nicht ansprechbar war. Auch sein Besuch am späten Abend hatte keine Neuigkeiten gebracht. Ann-Katrin Räubers Zustand hatte sich in den letzten Monaten aufgrund der immer noch nicht verheilten Schussverletzungen kontinuierlich verschlechtert,
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