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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn
Autoren: Klaus Wanninger
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Hutzenlaub blickte fragend zu ihnen her. »Dann musste er nur das Geld und die Ausweise dalassen und schon ermitteln wir in eine völlig falsche Richtung.«
    »Welche teuren Gegenstände sollen das sein?«
    »Schmuck zum Beispiel, ein Ring, eine Halskette, eine Brosche.«
    Dr. Raile schüttelte den Kopf. »Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass der Frau etwas gewaltsam von den Fingern gerissen wurde. Und von der Brust oder vom Hals …« Er ließ die Antwort offen, zeigte eine skeptische Miene.
    Braig schloss sich insgeheim dem Urteil des Arztes an. Verletzungen in einem solchen Ausmaß und einer solchen Intensität resultierten in den allermeisten Fällen aus gestörten persönlichen Beziehungen, wusste er aus Erfahrung. Wer seinem Opfer physisch so bestialisch zusetzte, war selbst monate- oder gar jahrelang psychisch gequält worden – sei es bewusst, unbewusst oder der eigenen wahnhaft veränderten Wahrnehmung nach. Meist waren es Männer, die aus verletztem Stolz oder vermeintlicher Brüskierung heraus allein mit körperlicher Gewaltanwendung wieder zu ihrem Recht zu finden glaubten. Kam dann im Moment des Aufeinandertreffens noch eine unglücklich geäußerte, allein durch die aufgeladene Situation problematische Bemerkung hinzu, drohten die Emotionen außer Kontrolle zu geraten. Christina Bangler, so schätzte Braig, musste in dieser Nacht einer Person begegnet sein, die sie näher kannte.
    Braigs Aufgabe war es, das persönliche Umfeld der jungen Frau zu untersuchen, um den Verbrecher zu finden. Er musste sich sofort auf den Weg machen, um die notwendigen Ermittlungen einzuleiten. Es war der einzige Dienst, den er dem grauenvoll entstellten Opfer noch leisten konnte.

4. Kapitel
    Mit dem langsam aufleuchtenden Licht kamen die Schmerzen. Zuerst war es nur ein undefinierbares Brummen in sämtlichen Regionen des Kopfes, ein sich ständig verstärkendes, immer unerträglicher tobendes Geräusch, dann kamen der Druck und das Stechen dazu; der Druck auf den Schädel, die Stirn, die Augen; das Stechen in den Muskeln, den Knochen, der Haut. Zeitgleich zerstob die Dunkelheit – milchig weißer Nebel waberte vor den Augen, machte nach und nach einer in dämmriges Morgenlicht getauchten Umgebung Platz.
    Lisa Neumann glaubte zu träumen, zum ersten Mal seit Monaten ein völlig anderes als das Nacht für Nacht ständig wiederkehrende Geschehen, begriff nur langsam, dass es Realität war, in die sie Minute um Minute immer weiter vordrang. Die Schmerzen machten jeden vernünftigen Gedanken unmöglich; das Ringen nach Luft, der Versuch, ihrem Körper auf dem harten Boden eine möglichst erträgliche Haltung zu geben, verlangten all die Konzentration und Aufmerksamkeit, zu der sie überhaupt fähig war. Sie stierte ins Nichts, versuchte das Toben ihrer Nerven zu ertragen. Erst der Anblick der kleinen, grau getigerten Katze, die scheu und in gebührendem Abstand um sie herumstrich, rief ihr endgültig ins Bewusstsein, wo sie sich befand.
    »Joschka«, hatte Martin Gronau erklärt, als sie seine Wohnung zum ersten Mal gemeinsam betreten hatten, »meine Katze ist zwar weiblichen Geschlechts, hört aber folgsam auf diesen Namen.«
    »Ein politisches Bekenntnis?«, hatte sie augenzwinkernd gefragt.
    Er war nicht darauf eingegangen, hatte nur leise gelacht.
    Sie folgte Joschka mit ihrem Blick, betrachtete die Einrichtung des Zimmers aus der Perspektive des Tieres. Links von ihr der mächtige Korpus des massiven Spiegelschranks, rechts die schmale, mit einem dicken Kissen bedeckte Truhe. Die Tapete unmittelbar daneben zeigte deutliche Spuren scharfer Krallen.
    Lisa spürte Brennen in ihren Wangen, als sie den Kopf zur Seite schob, sah die einen Spaltbreit geöffnete Tür vor sich, dahinter den toten Bildschirm des Computers im Nachbarraum. Mit einem Mal erinnerte sie sich, was geschehen war.
    Sie blieb einen Moment ohne jede Bewegung liegen, versuchte über die tobenden Schmerzen hinaus fremde Geräusche wahrzunehmen. Irgendwo im Haus wurde eine Wasserspülung betätigt, in einiger Entfernung heulten Motoren. Nichts wies darauf hin, dass sich außer ihr und der Katze noch jemand in Gronaus Wohnung aufhielt.
    Lisa winkelte die Arme an, drückte sich vorsichtig vom Boden hoch. Tränen schossen ihr in die Augen, ihr Kopf drohte zu zerspringen, die Schmerzen raubten ihr fast den Verstand. Mühsam kam sie auf die Beine.
    Die ganze Einrichtung begann sich um sie zu drehen. Der Schrank, die Truhe, das Fenster, die Tür – alles jagte
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