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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn
Autoren: Klaus Wanninger
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bis den Ärzten als Ausweg nur die erneute Operation geblieben war. Braig hatte Mühe, seine Gedanken von den Sorgen um seine Freundin zu lösen und sich auf den akuten Mordfall zu konzentrieren.
    Er zog den Reißverschluss seiner Jacke wieder nach oben, starrte erneut auf die Leiche. »Woran ist sie gestorben? Haben Sie schon einen Befund?«, fragte er.
    Dr. Raile schüttelte den Kopf. »Das muss ich dem Pathologen überlassen. Sie hat so viele lebensgefährliche Verletzungen, dass ich mich nicht festlegen will. So schnell jedenfalls nicht. Innere Blutungen, Würgemale am Hals …« Er untersuchte den Kehlkopf mit einer kleinen Taschenlampe, wies auf die Hautabschürfungen unterhalb des Halsansatzes. »Vielleicht durch Erwürgen. Sehen Sie, hier!«
    Braig folgte seinen Fingern, sah die Umrisse schmaler, lang gezogener Druckstellen.
    »Möglicherweise war das der endgültige Schlusspunkt, ich weiß es noch nicht. Auf jeden Fall hat sie schrecklich leiden müssen.«
    »Wer macht so was?«, schimpfte Rössle. Er hatte sich erhoben, kratzte einen Spatel sauber, mit dem er vorher den Boden abgesucht hatte. »Des muss doch a bsonders auskochter Deifel sei, oder?«
    »Du glaubst, wir können den Kreis der potentiellen Täter eingrenzen?« Der Kommissar sah skeptisch zu seinem Kollegen auf. »Aufgrund der Brutalität des Verbrechens?«
    Rössle zuckte mit der Schulter. »Keine Ahnung. Du bisch der Ermittler.«
    »Nein«, sagte Braig, »das können wir leider nicht. Jeder ist dazu fähig. Und wenn die Tat noch so bestialisch ausgeführt wurde.«
    Er merkte, dass der Arzt mit überraschtem Gesichtsausdruck zu ihm herschaute, so als hätte er etwas Obszönes von sich gegeben. Wahrscheinlich schickte es sich nicht, alle Menschen gleichermaßen dafür geeignet zu erklären, solch unvorstellbare Aggressionen zu entwickeln. Aber die Erfahrungen der letzten Jahre und die Begegnungen mit Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft, die als Totschläger, Sadisten oder Mörder überführt worden waren, ließen ihm keine andere Wahl. Er hielt inzwischen jeden und jede fähig zur Bestie zu werden, vorausgesetzt, die jeweiligen Umstände trugen ihren Teil dazu bei.
    »Wie alt war sie?», fragte Rössle.
    Braig nahm den Ausweis der Toten, den er in ihrer Geldbörse gefunden hatte, zur Hand, überflog die Daten der Frau. »Christina Bangler. 1982 geboren. 21 Jahre jung. Am Anfang ihres Lebens.« Er sah, wie der Kriminaltechniker den Kopf schüttelte, konzentrierte sich wieder auf die Kennkarte. »In Stuttgart zur Welt gekommen, in Schwaikheim gemeldet. Familienstand ledig.«
    »Ein eifersüchtiger Liebhaber«, meinte der Arzt, »oder ein verlassener. Irgendein heißblütiger Südländer vielleicht, ein Italiener, Spanier oder Türke. Das könnte ich mir am ehesten vorstellen. Wenn wirklich nichts gestohlen wurde …«
    Braig betrachtete den Mann mit großen Augen, überlegte, ob er ihm antworten, ihn auf etwaige rassistische Vorurteile ansprechen solle, ihm berichten, dass er in Belgrad geboren, von einer dieser heißblütigen Killernationen abstammte.
    Er seufzte laut auf, blieb aber ruhig. Es war zu früh am Morgen, jetzt schon den ersten heftigen Streit vom Zaun zu brechen.
    Sollte der Arzt glauben, was er wollte. Er, Braig, hatte hier in der Umgebung von Stuttgart schon viel zu viele von völlig normalen Bürgern hingerichtete Opfer vor sich liegen sehen, als dass er auf die Hypothese der heißblütigen Südländer angewiesen war. Der Hass und die Aggressionen, die dabei im Spiel gewesen sein mussten, waren jeder sizilianischen oder anatolischen Blutrache-Fehde ebenbürtig. Nein, die junge Frau hier am Rand der Waiblinger Innenstadt konnte jedem im Normalfall noch so seriös auftretenden Mitbürger zum Opfer gefallen sein – aus welchem Grund auch immer.
    Nach einem Sexualdelikt sah es nicht aus, nach einem Raubüberfall ebenso wenig, jedenfalls war es nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen nicht sonderlich wahrscheinlich, dass einer dieser Gründe der Anlass des Verbrechens gewesen sein sollte. Die Geldbörse enthielt an die siebzig Euro: einen Teil Scheine, der Rest Münzen, dazu Giro- und Telefonkarte, Ausweis und Führerschein. Welcher potentielle Dieb schlug minutenlang – so hatte der Arzt den Vorgang beschrieben – auf ein Opfer ein, um es dann mit allen wertvollen Besitztümern zurückzulassen?
    »Und wenn sie einen anderen, besonders teuren Gegenstand bei sich trug, auf den es der Täter abgesehen hatte?« Helmut
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