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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut
Autoren: Klaus Wanninger
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Rollenverhaltens sahen. Männer wurden in unserer Leistungsgesellschaft nach wie vor dazu »abgerichtet«, steinzeitmäßig um einen besseren Sozialstatus zu kämpfen, weil sie dann von den meisten Frauen als attraktiver eingestuft wurden. Speziell in den niedrigeren Schichten basierte das Ansehen von Männern oft darauf, ob sie ihr Potential zur Anwendung von Gewalt deutlich machen konnten – gerade auch in unserer Ellenbogengesellschaft.
    Andreas Stechers Verbrechensserie war von den Tierquälereien über das Kidnapping seiner Lehrerin und seiner Mitschüler bis hin zur Vergewaltigung und Ermordung Manuela Eitles nach genau diesem archaischen Muster abgelaufen. Erst in den einsamen Stunden im Gefängnis hatte er – vielleicht durch Impulse aus den Gesprächen mit seinen Besuchern – erkannt, auf welchen Irrsinn er verfallen, was er mit seinem mörderischen Verhalten alles angerichtet hatte. Und jetzt wurde, so Professor Böhringer, aus einem Saulus ein Paulus.
    Im Gefängnis hatte sich Stechers Bild der Wirklichkeit geändert. Nicht mehr die Verbesserung seines sozialen Status war jetzt sein treibender Impuls, sondern eine Art Wiedergutmachung des Leids, das seiner Mutter in ihrem Leben zugefügt worden war, angefangen von dem charakterlosen Verhalten Greilings bis hin zu der Hetzkampagne vieler Medien gegen die Mutter des »Monsters«.
    Stecher hatte, statt sich prinzipiell von der Gewalt als Möglichkeit zur Durchsetzung bestimmter Interessen abzuwenden, dieselbe als Möglichkeit entdeckt, sich für andere, konkret für seine Mutter, einzusetzen. Er war auf die Idee verfallen, so Böhringer, der Gewalt eine soziale Komponente zu geben.
    Deshalb brach er aus dem Gefängnis aus und beseitigte alle die Übeltäter, die seiner Mutter so schlimm mitgespielt hatten: Den charakterlosen Greiling; Bartle, der wahrscheinlich mit an dem Mord beteiligt war – ein Aspekt, der bei Stechers Prozess leider völlig außer Acht geblieben war; Harf, der für das gewaltverherrlichende Programm verantwortlich war, das ihn auf die schiefe Bahn gebracht hatte.
    Wer würde noch folgen?
    Böhringers Antwort war klar: Alle, die seiner Mutter Leid zugefügt hatten. Die jetzt noch gefährdeten Personen zu ermitteln, sollte nach diesen Überlegungen kein Ding der Unmöglichkeit sein. Konkrete Namen zu nennen, wollte er der intensiven Diskussion der Kommissionsmitglieder überlassen.
    Eine kurze Schlussbemerkung des Professors drohte seine bedenkenswerten Ausführungen im Kreis der Diskussionsteilnehmer fast vollständig zu überlagern: Um seine Aufgabe vollends zu erfüllen, so Böhringer, könnte Stecher durchaus auf die Idee verfallen, dass es seine Pflicht sei, sich zu guter Letzt auch noch selbst zu richten, schließlich war er am Elend seiner Mutter ebenso beteiligt wie diejenigen, die er bereits zur Verantwortung gezogen hatte.
    Der Aufschrei unter den anwesenden Zuhörern blieb nicht aus: Sich selbst richten?
    »Der spinnt doch«, urteilte Braig später, als sie kurz nach 22 Uhr das Amt verließen, »der hat doch von der Realität keine Ahnung. Stecher legt sich selbst um. Und wozu dann all die vielen Toten vorher?«
    »Du hast es doch gehört«, antwortete Erwin Beck spöttisch, »den ersten Mord für sich selbst, die übrigen für seine Mutter. Fragt sich nur, wer noch fällig ist, bevor er sich endlich selbst die Kugel gibt, vielleicht wird der unbekannte Tote bald identifiziert, dann wissen wir, wie die Reihe weitergeht.«

39. Kapitel
    Das Telefon riss Braig am Donnerstagmorgen zwanzig Minuten nach sechs aus dem Schlaf. Müde griff er nach dem Hörer, zog ihn zu sich her.
    »Tut mir leid«, gähnte Neundorf, »aber mich haben sie eben auch aus dem Bett geholt.«
    »Was ist so wichtig? Hat Stecher schon wieder ...«
    Neundorf holte tief Luft und lachte bös: »Du wirst es nicht glauben.«
    Braig stöhnte, hatte Schwierigkeiten, vollends wach zu werden. »Mach es nicht so spannend.«
    »Der Tote ist identifiziert.«
    Er überlegte, verstand, von wem sie sprach. »Und?«
    »Die Kugel stammt aus Stechers Waffe.«
    »Das ist bekannt. Sein fünfter Mord.«
    »Nein«, erwiderte sie.
    »Ja, okay«, Braig glaubte zu begreifen, worauf sie hinauswollte, »wenn wir die richtige Reihenfolge einhalten, ist es sein Opfer Nummer drei. Zuerst Manuela Eitle, dann, nach seinem Ausbruch aus dem Gefängnis Greiling, anschließend dieser junge Mann ...«
    »Du stehst total daneben«, sagte Neundorf.
    »Wieso? Tötete er den Kerl schon vor seinem
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