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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut
Autoren: Klaus Wanninger
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ja?«
    Braig nickte.
    Der Mann im Nachbarbett begann plötzlich laut zu röcheln. Erschrocken starrten sie zu ihm hinüber.
    »Das ist harmlos. Der macht das dauernd«, beruhigte sie Söhnle. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, holte tief Luft. »Er wisse, dass ich Polizeibeamter sei, deshalb stelle er mir diese Frage.«
    »Und? Hast du es ihm erzählt?«
    »Na klar. Mehrfach. Den radioaktiven Scheißdreck von Neckarwestheim wegschaffen, damit er nach Norddeutschland gebracht werden kann. Und für die nächsten Transporte im Herbst diesen Jahres habe ich schon wieder den Einsatzbefehl. Vom Reaktor bis zum Bahnhof. Mehrere Castoren.«
    Das Röcheln des kranken Nachbarn gewann wieder an Intensität.
    »Du hast schon wieder Einsatzbefehl?«
    Söhnle nickte. »Seit vier Wochen schon liegt der Brief bei mir zu Hause. Der Atommüll hat absoluten Vorrang vor allem anderen. Die wollen die Scheiße abschieben, möglichst schnell, weil das Zeug so gefährlich ist.« Er schwieg, schaute zu Neundorf auf. »Weißt du, was der Arzt darauf meinte?«
    Sie warteten auf seine Worte.
    »Dann wundere er sich überhaupt nicht mehr, wie es um meine Gesundheit bestellt sei. Und anschließend erzählte er mir das von dem Krebs. Und dass er sich persönlich darum kümmern würde, dass ich im Herbst nicht nach Neckarwestheim müsse.«
    »Was ist das für ein Arzt?«
    Söhnle lachte. »Der Chef der ganzen Abteilung persönlich. Nicht irgendein dahergelaufener Quacksalber. Ich denke, der weiß, wovon er spricht.«

37. Kapitel
    Neundorf konnte die Wut, die in ihr kochte, kaum noch zurückhalten, zu sehr hatten sie Söhnles Worte getroffen.
    Was sollten sie als Polizeibeamte eigentlich noch alles erledigen? Welche Drecksarbeiten hatten die in Stuttgart regierenden Politiker ihnen noch zugedacht?
    Ausländische Mitbürger, die seit Jahren hier lebten, deren Kinder längst in unsere Gesellschaft integriert waren, ohne Vorankündigung bei Nacht und Nebel in Gestapo-Manier aus der Wohnung holen und aus dem Land verjagen. Radioaktiven Müll, zigtausende Jahre lang jedes Leben vernichtend, von den Reaktoren durch dichtbesiedelte Ortschaften begleiten, die in ohnmächtigem Zorn gegen die atomare Gefahr protestierenden, um Leib und Leben besorgten, in der Nähe wohnenden Menschen niederknüppeln und für einen »ordnungsgemäßen« Abtransport des hochbrisanten Materials geradestehen.
    Die feinen Herren in Stuttgart hatten beschlossen, das Land mit Atomreaktoren vollzuklotzen – für die Konsequenzen durften andere geradestehen: Die Polizei den hochgiftigen Müll wegräumen, die Menschen im Norden den Dreck vor ihrer Haustür aufbewahren. Waren die Probleme des Atommülls etwa gelöst, wenn man ihn nach Norddeutschland schaffte und den dort lebenden Menschen vor die Füße warf? Wie konnten diese Politfunktionäre überhaupt auf einen solchen Ausweg verfallen?
    Neundorf dachte an den neusten, rechtzeitig neun Monate vor den nächsten Landtagswahlen vom zuständigen Minister erlassenen Befehl, verstärkte Jagd auf Drogenkonsumenten einzuleiten. Jeden Tag nahmen die Kollegen der Rauschgiftdezernate unzählige Drogenabhängige fest und konfiszierten die mitgeführten Rauschgiftmengen. Die herrschenden Heuchler in der Landeshauptstadt wiesen jubelnd auf die in ihrem Bundesland erzielten überdurchschnittlich hohen Festnahmequoten hin und ließen sich dafür feiern.
    Dass die ihrer Rauschgiftvorräte beraubten Konsumenten aufgrund ihrer Sucht gezwungen waren, sich auf schnellstem Weg Geld für neue Drogen zu beschaffen, blieb bei dieser Rechnung außen vor. Überfälle nahmen explosionsartig zu, Einbruchsserien verunsicherten ganze Stadtteile. Unzählige Polizeibeamte schoben wochenlang Überstunden, jagten kranken Rauschgiftsüchtigen hinterher. Einen der großen Dealer zu fangen, war ihnen nicht gelungen. Hauptsache, die Zeitungen waren wieder voll mit angeblichen Erfolgen; anstatt Konzepte für verantwortungsvolle Hilfe für die Suchtkranken zu erarbeiten.
    Neundorf ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie mussten sich endlich wehren, aufstehen gegen verlogene Politiker, durften nicht länger die nützlichen Idioten spielen, die jeden Tag aufs Neue die Kohlen aus dem Feuer holten. Sie kannte viele, allzuviele Kollegen, die sich seit Jahren unermüdlich für dieses Land abrackerten und dafür sorgten, dass es liebenswert blieb, ein Erfolg, den sich ausgerechnet die Herren in Stuttgart ans Revers hefteten.
    Das Läuten von Braigs Handy riss sie aus ihren
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