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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut
Autoren: Klaus Wanninger
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Gedanken. Sie befanden sich auf der Rückfahrt von Söhnles Klinik, hatten den neuen Bescheid der Kollegen aus Schwäbisch Hall längst erwartet.
    »Eindeutig Stechers Handschrift«, erklärte der Beamte, »die tödliche Kugel stammt aus seiner Waffe.«
    »Oh nein! Hört das denn nie auf? Wer ist der Tote?«
    »Keine Ahnung. Die Leiche war nackt, dazu schon mitten im Verwesungsprozess. Mindestens zehn Tage tot, meint der Arzt.«
    »Zehn Tage?«, fragte Braig, »aber das bedeutet ja ...«
    »Der Arzt lässt sich nicht davon abbringen. Eher noch länger, sagt er.«
    Braig war sprachlos.
    »Alles, was wir wissen, ist, dass es sich um einen jüngeren Mann handelt, etwa 25 Jahre alt.«
    »Einer von Stechers Freunden?«
    »Keine Ahnung. Das müssen Sie herausfinden. Stecher ist Ihr Fall.«
    Braig bedankte sich, klärte Neundorf über den neuen Stand auf.
    »Mindestens zehn Tage tot?« Sie nahm ihre Finger zu Hilfe, rechnete nach. »Heute ist Mittwoch. Gehe ich zehn Tage zurück, komme ich auf den vorletzten Sonntag. Das war das Wochenende mit dem Straßenfest in Backnang. Einen Tag vorher hatte er Greiling ermordet, Freitags war er ausgebrochen. Das heißt ...«
    »Er tötete an jenem Wochenende nicht nur seinen Vater, sondern auch den bislang noch unbekannten jungen Mann. Vielleicht sogar noch vor Greiling, wenn der Arzt das mindestens so betont. Und am Montag darauf war schon Benjamin Bartle in Frankreich an der Reihe.«
    »Dann bleibt uns jetzt nur, den Toten zu identifizieren. So schnell wie möglich.«

38. Kapitel
    Professor Dr. Ulrich Böhringer stand dem Landeskriminalamt als Berater zur Erstellung von »operativen Fallanalysen von Gewaltverbrechen« zur Verfügung. Er war Ordinarius für Soziologie und hatte gemeinsam mit Psychologen und Kriminologen ein bundesweites Ermittlungssystem entwickelt, in dem aus sämtlichen rekonstruierbaren Details eines Verbrechens die Person des Täters identifiziert werden sollte.
    Um diese »operative Fallanalyse« erstellen zu können, hatte sein Team einen über 160 Fragen umfassenden Katalog erarbeitet, dem alle Daten von Gewaltverbrechen zugeführt wurden, die nicht auf Beziehungsstreitereien zurückzuführen waren. Gefragt wurde in den aufwendigen Listen nach allen möglichen Umständen der Verbrechen, wie zum Beispiel der Tageszeit oder dem Entdeckungsrisiko, dem Sozialverhalten oder der Haarfarbe des Opfers.
    Diese Informationen wurden seit einigen Jahren der internationalen Datenbank ViCLAS eingegeben, einem Analysesystem zur Verknüpfung schwerer Strafdelikte. Mehrfach schon waren mittels dieser neuen Methodik Tatserien schneller erkannt, Rückschlüsse auf die Täter erstellt, dieselben ermittelt und somit die Ausübung weiterer Verbrechen verhindert worden. Ob das System auch dafür geeignet war, nicht den bereits bekannten Täter, sondern dessen Aufenthaltsort bzw. seine potentiell weiteren Opfer einzukreisen, musste sich erst erweisen.
    »Wir stehen vor einer neuen Herausforderung«, erklärte Böhringer im Kreis der Mitarbeiter der Sonderkommission, die mit der Verfolgung des Massenmörders Andreas Stecher beauftragt war, »wir müssen uns fragen, ob die Tatsache, dass unser Täter seinen eigenen Vater ermordet hat, die Zielrichtung unserer Suche nach ihm verändert? Müssen wir jetzt alle Überlegungen hinsichtlich der Beweggründe seines Handelns überarbeiten? Und zwingt uns die neue Erkenntnis, uns auf völlig andere potentielle Opfer zu konzentrieren?«
    Sie hatten sich um 16 Uhr im Amt getroffen. Böhringers Fragen, die von den meisten Anwesenden als die zentralen Problempunkte definiert wurden, lösten gerade angesichts des neuen noch unbekannten Leichenfundes eines lebhafte Diskussion aus.
    Für den Professor war Andreas Stecher hinsichtlich seiner Gewaltausübung im Gefängnis im gewissen Sinn vom Saulus zum Paulus geworden. Vor dessen Aufenthalt in der Strafvollzugsanstalt war Stechers kriminelle Karriere bilderbuchartig nach dem normalen Schema männlicher Gewaltausübung verlaufen. Aufgehetzt von gewaltverherrlichenden Filmen hatte der Gesuchte in einer für ihn sehr problematischen Lebenssituation erkannt, dass der Einsatz roher Gewalt seinen Einfluss und seine Bedeutung deutlich verbesserten – ein für unsere Gesellschaft typischer Auslöser kriminellen Verhaltens bei Männern.
    Böhringer legte ausführlich die Erkenntnisse vieler Psychologen und Soziologen dar, die die Wurzeln vieler Verbrechen in einem längst überholten Bild männlichen
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