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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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welche Richtung ihre Frage zielte. »Nein«, sagte er voller Überzeugung, »es war ruhig. Absolut ruhig. Das Auto muss zu der Zeit schon eine ganze Weile im See gelegen haben. Es gab nicht eine einzige Welle.«

5. Kapitel
    Die Wilhelm-Haspel-Straße lag am östlichen Rand Sindelfingens. Das Haus, das laut der Kennkarte des Toten dessen letzter Wohnsitz gewesen war, beherbergte drei Wohnungen. Braig und Neundorf hatten sich bei Kai Dolde für dessen Hilfsbereitschaft bedankt, waren dann sofort ins nur wenige Kilometer entfernte Sindelfingen gefahren, um die Familie Karl Herzogs über den Tod ihres Angehörigen zu unterrichten und sich – falls möglich – über dessen Lebensumstände zu informieren.
    Braig war froh, sich in der Gesellschaft Neundorfs zu wissen, fühlte er sich doch bei solchen Besuchen stets aufs Neue unwohl. Diese »letzte Botschaft« zu überbringen – so sehr er sich aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit auch daran gewöhnt haben müsste – machte ihm immer noch zu schaffen. So wenig ihn die Ermordung an sich berühren sollte – er hatte den Mann ja nicht ein einziges Mal lebend gesehen – seinen Angehörigen in dieser Situation gegenüberzutreten, zehrte an seiner psychischen Kraft. Die schlimmste Aufgabe, zu der seiner Meinung nach ein Mensch verpflichtet werden konnte, war ihm jetzt wieder auferlegt: Er musste ohne jede Vorwarnung mitten in den Alltag einer Familie eindringen und ihnen eine Information überbringen, die das Leben der Betroffenen vollkommen verändern, sie für Wochen oder Monate wahrscheinlich völlig aus der Bahn werfen würde. Er kam sich vor wie ein verrückt gewordener Amokläufer, der Menschen mit Unheil und Gewalt in den Ruin zu treiben gedachte.
    »Du bist okay?«, riss Neundorf ihn aus seinen Gedanken.
    »So wie du.«
    Sie nickte, blies durch die Zähne. »Gut fühle ich mich dabei nie. Aber glaubst du, anderen geht es besser?« Sie schüttelte den Kopf, gab sich selbst die Antwort. »Also: Bringen wir es hinter uns.«
    Braig suchte den Namen neben der Klingelleiste, fand ihn in der Mitte.
Herzog
, ohne Vornamen.
    Er läutete, wartete auf eine Reaktion.
    Eine weibliche Stimme meldete sich über den Lautsprecher. »Wer ist da?«
    »Frau Herzog? Wir müssen Sie sprechen.«
    »Was liegt an?«
    »Mein Name ist Braig. Neben mir steht meine Kollegin Neundorf. Wir sind von der Polizei.«
    »Polizei?«
    »Würden Sie uns bitte öffnen?«
    Die Tür sprang von selbst auf, erst dann war der Summton zu hören, der das verursacht hatte. Braig wartete, bis seine Kollegin bei ihm angelangt war, stieg dann nach oben. Es handelte sich um ein helles, mit marmorierten Stufen und großen Fensterflächen ausgestattetes Treppenhaus, auf jedem Stock nur eine Wohnung. Die Tür im ersten Obergeschoss wurde genau dann geöffnet, als sie die Stufen bewältigt hatten. Eine große, dem ersten Eindruck nach sehr resolute Frau Anfang vierzig schaute ihnen fragend entgegen.
    »Polizei?«
    Braig zog seinen Ausweis aus der Tasche, streckte ihn ihr entgegen. Sie warf nur einen kurzen Blick darauf, winkte lässig ab. »Danke. Ich glaube Ihnen. Ihr Auftreten spricht für Ihre Worte.«
    Er ging darauf nicht ein, wollte keine emotionale Beziehung aufbauen, die ihm seine Aufgabe noch zusätzlich erschweren würde. »Frau Herzog?«
    »Stefanie Herzog. Die bin ich, ja. Was haben Sie auf dem Herzen?«
    Sie war annähernd 1,80 Meter groß, hatte wellige dunkelblonde Haare, trug einen schwarzen Anzug, der ihre schlanke, sportliche Figur noch unterstrich, dazu ein weißes Hemd. Selbstbewusstsein sprach aus jeder Faser ihres Körpers.
    »Es geht um eine sehr persönliche Sache. Dürften wir ...«
    Stefanie Herzog verstand Braigs Andeutung, trat von der Tür zurück, ließ beide Beamte eintreten. Die Wohnung war großzügig angelegt: Eine breite, mit großformatigen modernen Gemälden geschmückte und mit einem weichen honigfarbenen Teppich ausgelegte Diele führte zu einem über und über von Büchern und Zeitungen dominierten Raum. Braig starrte überrascht auf gewaltige Wandschränke. In hohen Stapeln war auf dem Boden und auf Tischen Literatur verteilt, dennoch hatten sie kein Problem, Platz zu finden, weil die Halle in ihrem rückwärtigen Teil ein großzügiges, um die Ecke reichendes Sofa enthielt, das – von Büchern und Zeitungen fast vollkommen frei – offensichtlich dem Empfang von Besuchern diente. Er ließ sich neben seiner Kollegin nieder und wartete, bis auch die Gastgeberin zu ihnen
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