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Schwaben-Gier

Schwaben-Gier

Titel: Schwaben-Gier
Autoren: Klaus Wanninger
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zu finden, tastete sich zu ihrer Unterlage zurück. Die Umrisse der beiden großen Pakete unweit der Tür erkannte sie erst, als sie Stunden später wieder die Augen aufschlug. Licht drang aus den Ritzen der Wand, tauchte den Raum in das gewohnte dämmrige Dunkel. Sie benötigte Zeit, sich auf das neue Inventar zu konzentrieren; Durst in einem nie zuvor gekannten Ausmaß raubte ihr fast die Sinne. Ihr Mund war hart, die Zunge starr und nur schwer zu bewegen, ihr ganzer Leib sehnte sich nach Flüssigkeit. Langsam richtete sie sich auf, schleppte sich zur Tür. Sie tastete die Gegenstände vorsichtig mit den Händen ab, merkte, dass es sich um einen großen, mit einem Deckel versehenen Eimer sowie einen Karton voller Lebensmittel, Plastikflaschen und Toilettenpapier handelte. Voller Gier griff sie nach einer der Flaschen, entfernte den Verschluss, trank von dem köstlichen Nass.
    Sie erholte sich langsam, öffnete eine der Lebensmittelpackungen nach der anderen, nahm sich, so viel sie wollte, legte sie sorgsam verschlossen wieder zurück. Wer immer sie hier gefangen hielt, er schien sie nicht sterben lassen zu wollen. Sie untersuchte den Raum, lauschte auf fremde Geräusche, aß und trank, verrichtete ihre Notdurft in den Eimer, schob ihn ans andere Ende ihrer unwirtlichen Unterkunft. Irgendwann verwandelte sich der Dämmer in jene undurchdringlich schwarze Nacht, die ihr bereits bekannt war. Sie verharrte auf ihrer Unterlage, wartete auf Schritte – vergeblich. Später versank sie in tiefen Schlaf.
    Wie oft der Dämmer mit der Dunkelheit wechselte, wusste sie später nicht mehr zu erinnern. Plötzlich aber war der Gedanke da. Wer immer ihr Peiniger war, er würde wieder erscheinen, sie mit Wasser und Lebensmitteln versorgen, wie in einer der Nächte zuvor. Sie musste die Gelegenheit nutzen, ihn dabei überraschen – das war ihre einzige Chance. War es dem unerbittlichen Eifer und der Strebsamkeit zuzuschreiben, die ihren Charakter seit jeher entscheidend prägten? Sie hatte nur noch ein Ziel, nur noch einen Gedanken. Kaum hatte sich der Dämmer wieder in undurchdringliche Dunkelheit verwandelt, wartete sie auf das entscheidende Geräusch. Ein Vorteil lag auf ihrer Seite: Sie war auf die Begegnung vorbereitet, er nicht.
    Dennoch glaubte sie, ihr Herz wolle aufhören zu schlagen, als sie die Schritte hörte. Sie zitterte am ganzen Leib, fühlte sich steif und starr, hatte Mühe, sich in Bewegung zu setzen. Sie drückte sich in die Nische unmittelbar neben der Tür, klammerte sich an die Wand, wartete, bis der Schlüssel sich im Schloss drehte. Mit leisem Quietschen schwang das massive Portal ins Innere. Ein gleißender Lichtstrahl huschte über den Boden, fixierte die einem niedrigen Bett ähnliche Ruhestelle, die mit ihren unter einer Decke versteckten leeren Flaschen, Lebensmittelpackungen und Kartonagen einem schlafenden Menschen ähnelte. Ein, zwei Sekunden verharrte der blendend helle Strahl, huschte dann zur Seite, tauchte den Rest des Raumes ins Licht. Sie wusste, dass sie es jetzt riskieren musste, wenn überhaupt, dann in dieser Sekunde.
    Der Unbekannte machte einen Schritt nach vorne, als ihr Fuß ihn mit voller Wucht zwischen den Beinen traf. Er schrie vor Schmerz laut auf, taumelte zur Seite, stöhnte.«Verdammt!«, fluchte er.
    In diesem Moment erkannte sie ihn. Sie wuchtete die Flasche in die Höhe, traf ihn mitten ins Gesicht. Der Schlag warf ihn zurück, katapultierte ihn aus dem Raum. Gegenstände flogen durch die Luft, prallten auf den Boden. Mit einem Mal war es dunkel. Sie zog die Flasche erneut hoch, warf sie mit aller Kraft in die Richtung, in der sie ihn vermutete, hörte den Aufprall und das laute Knacken. Er schrie wie ein Tier, das dem Schlachter zugeführt wird. Irgendetwas war gebrochen. Sie konnte nichts mehr erkennen, hörte nur sein irrsinniges Schreien, suchte die Tür, warf sie zu. Das Brüllen ging unentwegt weiter. Sie bückte sich, tastete den Boden ab, fühlte die Lampe. Sie nahm sie auf, drückte den Schalter, spürte den großen Riss, der sich quer über das Gerät zog. Nichts tat sich, kein Licht. Sie versuchte es wieder und wieder, vergeblich. Als sie zur Seite trat, stieß sie mit dem Fuß an einen kleinen Gegenstand. Sie tastete danach, spürte sofort, um was es sich handelte. War das die Rettung?
    Sie nahm das Handy hoch, suchte im Dunkeln nach der Tastatur, sah, wie das Display aufleuchtete. Es bereitete ihr keine Schwierigkeiten, dass sie die Ziffern nicht erkennen konnte.
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