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Schwaben-Gier

Schwaben-Gier

Titel: Schwaben-Gier
Autoren: Klaus Wanninger
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Sekunden von der Stelle lösen können. Sie hatte, die Leine in der Hand, nach ihrem Hund geschrien, immer noch voll im Kegel der Scheinwerfer stehend, war dann dem Weg quer über die Acker gefolgt. Das Licht des Autos war für mehrere Sekunden erloschen; sie hatte schon geglaubt, dass es auf einen anderen Weg abgebogen und der Unbekannte hinter dem Steuer sie aus den Augen verloren habe, wurde aber plötzlich vom Gegenteil überzeugt. Ohne dass sie es in der Hast ihres Davonspringens wahrgenommen hatte, war das Fahrzeug auf ihre Spur eingeschwenkt, hatte direkt auf sie zugehalten. Sie hatte noch zur Seite springen, die holprige Fahrspur verlassen wollen, war aber mitten in der Bewegung von dem harten Metall erfasst und in die Höhe geschleudert worden: Ein grauenvoller Schlag, der ihr höllische Schmerzen zugefügt hatte. Unmittelbar danach war ihr Bewusstsein erloschen.
    Wie viel Zeit seither vergangen war, wo sie sich befand – sie wusste es nicht. Sie litt unter höllischen Schmerzen im Kopf und in der Brust, hatte Mühe, kräftig durchzuatmen, glaubte, scharfe Klingen in ihrem Leib zu verspüren. Als sie die Augen aufschlug und ihren Blick über die Umgebung schweifen ließ, nahm sie, gehandicapt durch ihre fehlende Brille, verschwommen die Umrisse eines in dämmriges Licht getauchten, vollkommen leer geräumten schmutzigen Raumes wahr. Fenster konnte sie nirgends entdecken, es roch muffig und abgestanden, als befinde sie sich in einem seit Jahren von der Außenwelt abgeschotteten Verließ.
    Sie stemmte sich mühsam vom Boden hoch, wirbelte eine Wolke aus Staub und Dreck in die Luft, musste heftig husten. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten, jeder kräftige Atemzug schien von den Stichen unzähliger scharfer Klingen begleitet. Ihr Mund war wie ausgetrocknet, sie hatte Durst, benötigte dringend etwas zu trinken. Sie verharrte direkt vor ihrer Liegestätte, zwei lieblos aufeinander geschichteten Wolldecken, schaute sich um, sah das Licht aus zwei winzigen Ritzen in der Wand in den Raum dringen. Geräusche waren nur aus der Ferne wahrzunehmen: Der ständig anund abschwellende Lärm von Motoren, ab und zu Hupen und das schrille Kreischen von Bremsen, die typischen Kennzeichen einer stark befahrenen Straße. Nur selten, in länger währenden Abständen, das Rauschen eines entfernt vorbeihuschenden Zuges.
    Sie stand vollends auf, erkundete die Umgebung, tastete sich Schritt für Schritt durch den über und über mit Staub und Dreck angefüllten Raum. Hier hatte sich seit langer Zeit niemand mehr aufgehalten, ein unwirtliches abgelegenes Loch, das keinerlei menschlichen Kontakt versprach. Sie untersuchte, so gut es ging, die Wände, klopfte mit ihren Fäusten dagegen, jammerte und schrie, verstärkte ihre Aktivitäten, bis sie vor lauter selbst ausgelösten Staubfontänen kaum mehr Luft zum Atmen fand. Das Mauerwerk schien überall gleich massiv, nirgends eine Stelle, die Chancen auf Entkommen versprach, auch die einzige Tür, ein unnachgiebiges stählernes Ungetüm fest verschlossen und auf keinen ihrer handgreiflichen Wutausbrüche reagierend. Sollte sie hier in diesem abgelegenen Verließ verhungern und verdursten?
    Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie zum ersten Mal in unmittelbarer Nähe Schritte hörte, sah nur, dass der Raum in tiefer Dunkelheit lag. Auch der Lärm der entfernten Straße schien schwächer als zuvor. So schnell es ging, drückte sie sich von ihrer Unterlage hoch, tastete sich mit weit ausgestreckten Händen in Richtung der Wand. Im selben Moment waren die Schritte vor der Tür angelangt, der Schlüssel drehte sich im Schloss, das stählerne Monstrum schwang quietschend nach innen. Der grelle Strahl der Lampe traf sie mitten ins Gesicht, nahm ihr jede Chance, irgendetwas zu erkennen. Erstarrt verharrte sie mitten in der Bewegung, erinnerte sich an die Szene draußen auf den Äckern, begann ohne jede Überlegung aus Leibeskräften zu schreien. Ihr Herz hämmerte wild, ihre Sinne schienen benebelt, Schweißbäche rannen ihr aus den Achseln. Sie schrie und tobte, nahm überhaupt nicht wahr, dass das Licht plötzlich verlöschte und die Tür in ihre Angeln fiel.
    Als sie wieder zu sich kam – Ewigkeiten später, wie ihr schien – war alles stockdunkel. Kein Geräusch, nur ab und an das entfernte Aufheulen der Motoren. Hatte sie geträumt? War sie unter der Folter des Durstes und der Einsamkeit oder als Folge der Gewalttat nicht mehr Herr ihrer Sinne?
    Sie hatte Mühe, zur Ruhe
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