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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst
Autoren: Klaus Wanninger
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auch die Gastgeberin Platz.
    »Sie müssen entschuldigen, mein Mann ist noch nicht hier. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, wo er sich aufhält.«
    Braig hörte den kritischen Unterton in ihrer Stimme. »Sie gehen oft getrennte Wege?« Sein Blick fiel auf ihre Schuhe; mittlere Größe, schätzte er, durchaus im Bereich dessen, was am Tatort festgestellt worden war. Ihr Körperbau war nicht besonders kräftig; wenn sie ihren Mann töten wollte, musste sie zu einem Hilfsmittel greifen. Gift, die Waffe der Apothekerin? Braig spürte, dass er sich von seiner Voreingenommenheit nur schwer befreien konnte. Er sah sich im Zimmer um, wunderte sich, wie großzügig der Raum ausgestattet war. Nach einer Bauernstube sah es ganz und gar nicht aus. Der in samtroten Farbtönen gearbeitete Perserteppich, der sich in einer Braig bisher unbekannten Größe quer über den gesamten Boden erstreckte, kostete wahrscheinlich mehr als das Jahresgehalt eines Kriminalkommissars. Die moderne Sofagarnitur, zum Sitzen weniger geeignet als zum Vorzeigen und Bestaunen, lag im Preis sicher nicht viel günstiger. Stirnrunzelnd dachte er darüber nach, ob die Böhlers wohl das Klavier, ein
Steinway and sons
, mehr zur Dekoration oder zum Gebrauch erworben hatten. Sein Standort auf dem dicken Teppich schien jedenfalls ungeeignet, eine künstlerischen Ansprüchen genügende Akustik zu entfalten.
    »Getrennte Wege?« Marion Böhler lachte leise. »Stundenlang im nassen Weinberg herumstapfen, Rebe um Rebe betatschen, die mickrigsten Trauben untersuchen – das ist nicht jedermanns Sache. Mir scheint es reizvoller, einen Kaffee in angenehmer Umgebung zu trinken, die neuen Auslagen einer Boutique zu betrachten oder einfach durch die Stadt zu bummeln. Fällt es schwer, das nachzuvollziehen?«
    »Nein, überhaupt nicht. Sie waren den ganzen Nachmittag unterwegs?«
    »Wieso interessiert Sie das?« Sie schien ehrlich verwundert, betrachtete ihn mit fragender Miene.
    Die Frau war clever, spürte Braig, im Umgang mit Menschen erfahren. Er vermochte nicht zu erkennen, ob sie die Rolle der Unwissenden spielte oder ihm einfach frei von der Leber weg – durchaus mit Charme – antwortete. »Sie wollen uns nicht sagen, wo Sie waren?«
    »Was soll die Frage? Ich war in der Stadt, in Boutiquen, bummeln, einen Kaffee trinken. Ich erzählte es doch gerade.« Sie griff nach ihrem Glas, nippte von dem Wasser. »Was, bitte, wollen Sie eigentlich von mir?«
    Braig beobachtete sie misstrauisch, tat es ihr nach. Das Wasser war eiskalt. Er schluckte es langsam, stellte das Glas vorsichtig wieder zurück. »Es tut mir Leid, aber Sie wissen offensichtlich noch nicht, was mit Ihrem Mann …«, er stockte, überlegte, wie er die nächsten Worte formulieren sollte. Ob sie es weiß? Weil sie ihn selbst ermordet hat?
    Die Frau blieb ruhig, wartete auf eine Erklärung.
    »Frau Böhler, Ihr Mann wurde heute Nachmittag gegen 16 Uhr in Ihrem Weinberg gefunden. Tot.«
    »Wie bitte?«
    Sie war wie von einem Katapult in die Höhe geschleudert aus ihrem Sessel gesprungen, stand mit weit aufgerissenem Mund vor ihm und starrte ihn an.
    Braig sah, wie es in ihr arbeitete. Er erhob sich ebenfalls, legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ihr Mann, er war in Ihrem Weinberg heute, ja?«
    Sie nickte mit dem Kopf, schaute ihn immer noch ungläubig an. »Im Wingert, ja natürlich. Ich sagte es Ihnen doch schon.«
    »Er wurde ermordet.«
    Sie fiel wie in Trance in sich zusammen, plumpste in ihren Sessel zurück. Ihre Augen starrten auf einen imaginären Punkt irgendwo im Raum. Sie schwieg, versuchte das Ungeheuerliche zu begreifen.
    Marion Böhler, die Mörderin ihres Mannes? Wenn ja, dann verfügte sie jedenfalls über eine außergewöhnliche schauspielerische Begabung, dachte Braig. Er betrachtete ihr vor Entsetzen versteinertes Gesicht, sah, wie eine Träne über ihre linke Wange rann. Ihre Mundwinkel arbeiteten, ihre Augen versuchten, sich von dem imaginären Punkt zu lösen. Pures Unverständnis machte sich in ihrem Gesicht breit. Plötzlich richtete sie sich ruckartig wieder auf.
    »Ermordet?«, fragte sie. Ihre Lippen bewegten sich, hatten Mühe, die Worte zu formen. »Heute Mittag?«
    Braig ließ ihr Zeit, wartete, bis sie wieder zu sich gefunden hatte, nickte mit dem Kopf. »Mit Gift.«
    Sie rutschte zur Seite, warf ein Kissen auf den Boden. Bernhard Söhnle erhob sich, gab ihr das Kissen zurück. Sie beachtete ihn nicht.
    »Zyanid«, erklärte Braig, als er ihre fragende Miene sah.
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