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Schutzwall

Schutzwall

Titel: Schutzwall
Autoren: Ross Thomas
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Samstag abends verübt.
    Als Dill kurz nach vier Uhr nachmittags den Gatty International Airport verließ, war die Temperatur auf 39,5 Grad Celsius gefallen, und ein scharfer, heißer Wind fegte von Montana und den Dakotas in die Ebene hinunter. Dill konnte sich nicht erinnern, daß der Wind, der entweder aus Mexiko kam oder von den Great Plains her einfiel, jemals ausgesetzt hätte. Im Sommer war er verdorrend und versengend, im Winter frostklirrend, und wann immer er blies, zerrte er an den Nerven. Jetzt wehte er heiß und trocken und angereichert mit rotem Staub und feinem Kies. Plötzliche Böen mit einer Geschwindigkeit von bis zu sechzig Stundenkilometern nahmen Dill den Atem und rissen an seiner Jacke, als er sich dagegenstemmte und zum Taxistand vorarbeitete.
    Dills Heimatstadt war, gleich anderen amerikanischen Städten, netzartig angelegt. Die Straßen, die von Osten nach Westen verliefen, waren numeriert; die, die sie von Norden nach Süden kreuzten, trugen Namen – viele darunter benannt nach Pionieren der Bodenspekulation, die übrigen nach Bundesstaaten, Bürgerkriegsgenerälen (sowohl der Union als auch der Konföderierten), nach ein oder zwei Gouverneuren und einer Handvoll Bürgermeistern, deren Verwaltungen, wie man zu glauben schien, relativ frei von Bestechlichkeit und Korruption gewesen waren.
    Doch als die Stadt gewachsen war, war auch die Phantasie aufgeblüht, und die neueren Nord-Süd-Straßen wurden nach Bäumen benannt (Pinie, Ahorn, Eiche, Birke usw.). Als sich das mit den Bäumen erschöpft hatte – aus unerfindlichen Gründen hörte man bei Eukalyptus auf –, kamen auch Präsidentennamen ins Spiel. Diese liefen mit der Nixon Avenue zweihunderteinunddreißig Blocks westlich der Hauptstraße der Stadt aus, die zu niemandes Überraschung den Namen Main Street erhielt.
    Die wichtigste, die Main Street kreuzende Durchfahrtsstraße hieß unvermeidlicherweise Broadway.
    Als sich das Taxi dem Stadtzentrum näherte, stellte Dill fest, daß die meisten Wahrzeichen aus seiner Jugend verschwunden waren. Drei Filmtheater in der Innenstadt gab es nicht mehr: das Criterion, das Empress und das Royal. Auch Eberhardts Pool Billard Saloon war vom Erdboden verschwunden. Nur zwei Türen vom Criterion entfernt und im ersten Stock gelegen, war er zumindest für den dreizehnjährigen Benjamin Dill ein wunderbar anrüchiger, düsterer Ort gewesen, als er zum ersten Mal an einem Sonntagnachmittag von dem kleinen Strolch Jack Sackett dort hineingelockt worden war, einem fünfzehnjährigen Kumpel, der dann später einer der besten Pool-Billard-Spieler an der Westküste geworden war.
    Der Bauboom in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Innenstadt erst Mitte der siebziger Jahre erreicht, mit einer Verspätung von fast dreißig Jahren. Bis dahin war die City beinahe unverändert geblieben, wie sie noch gewesen war, als es sie beim großen Börsenkrach 1929 kalt erwischt hatte: Von den zwei auf dreiunddreißig Stockwerke geplanten Wolkenkratzern war einer gerade halb fertig geworden und der andere knapp über die Hälfte hochgezogen.
    Die beiden fertiggestellten Wolkenkratzer mit dreiunddreißig Stockwerken standen auf entgegengesetzten Straßenseiten, der eine von einer Bank errichtet, der andere von einem Spekulanten, der dann von der großen Depression weggefegt worden war. Um die Fertigstellung hatte es ein Wettrennen gegeben – ein plumpes Spektakel für die Öffentlichkeit, meinten einige Kritiker –, aus dem die Bank als Sieger hervorgegangen war. Einen Tag nachdem das Gebäude von Ölbonzen fertiggestellt worden war, die es für ’nen Appel und ’n Ei erworben hatten (manch einer behauptete sogar, für noch viel weniger), fuhr der Spekulant mit dem Fahrstuhl bis unters Dach seines zerbrochenen Traums und sprang hinunter. Ein dritter Wolkenkratzer, gerade zur Hälfte fertig, als es zum großen Krach kam, wurde nie zu Ende gebaut und schließlich Mitte der fünfziger Jahre abgerissen.
    1970 sah die Innenstadt noch immer so aus wie um 1940, außer daß es dort nicht mehr so viel Menschen gab. Die großen Warenhäuser waren schon vor langem zusammen mit ihrer Kundschaft an die Ausfallstraßen am Stadtrand geflüchtet. Andere Firmen folgten ihnen; der Verfall ließ nicht lange auf sich warten; die Kriminalitätsrate schnellte hoch, und niemand kam mehr in die City. Die in Panik geratenen Stadtväter heuerten eine teure Beraterfirma aus Houston an, die einen beeindruckenden Plan zur
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