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Schutzwall

Schutzwall

Titel: Schutzwall
Autoren: Ross Thomas
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überregionale Ausgabe der New York Times, deren Text via Satellit übermittelt, die am Ort gedruckt und noch am selben Tag von der Post zugestellt wurde, manchmal sogar noch vor Mittag, vorausgesetzt, man hatte den richtigen Postboten.
    Die geräumige Lobby des Hawkins war keineswegs überfüllt: ein halbes Dutzend Männer in mittleren Jahren, die aussahen wie Vertreter für Knallkörper; vereinzelte Ehepaare; eine junge Frau, die mehr als hübsch war; und eine ältere Frau Mitte Sechzig, die Dill aus unerfindlichem Grund über ihr Wall Street Journal hinweg anstarrte. Dill fand, daß sie das Aussehen eines Dauergastes hatte. Die Temperatur in der Lobby betrug 20 Grad, und Dill spürte, wie sein schweißdurchtränktes Hemd abzukühlen und zu trocknen begann, als er sich auf den Empfangsschalter zubewegte.
    Der junge Angestellte an der Rezeption fand Dills Reservierung und fragte, wie lange er bleiben würde. »Eine Woche, vielleicht länger«, meinte Dill. Der Empfangsmensch sagte: »Sehr schön«, händigte Dill seinen Zimmerschlüssel aus, entschuldigte sich vielmals dafür, daß einer der Pagen nicht zum Dienst angetreten wäre (er hätte sich krank gemeldet), doch er versicherte Dill, daß er, falls er Hilfe mit seinem Gepäck brauchte, irgendwie jemanden auftreiben würde, der es später hinaufbringen könnte. Dill erwiderte, er brauchte keine Hilfe, dankte dem Angestellten, nahm seine Tasche auf, drehte sich herum und wäre fast mit der mehr als hübschen Frau zusammengestoßen, die er schon früher bemerkt hatte.
    »Sie sind Pick Dill«, sagte sie.
    Mit einem leichten Lächeln schüttelte Dill den Kopf.
    »Nicht mehr seit der High-School.«
    »In der Grundschule nannte man Sie ›Pickle‹ Dill. Das war noch auf der Horace Mann School, draußen an der Ecke Twenty Second und Monroe. Doch in der vierten Klasse hatte dann alles eines Nachmittags ein jähes Ende, als Sie drei Ihrer, nun – Quälgeister verprügelten.«
    »Einer meiner schönsten Augenblicke«, sagte Dill.
    »Danach nannte man Sie in all den Jahren auf der High-School ›Pick‹ anstatt ›Pickle‹, aber das hörte auf, als Sie auf die Universität gingen, obwohl Ihre Schwester Sie immer so genannt hat: Pick.« Die junge Frau streckte ihm ihre Hand hin. »Ich bin Anna Maude Singe – also, wie schon das Wort Singe sagt, ein gebranntes Kind –, und ich bin – war, o verdammt! – eine Freundin von Felicity. Ich bin auch ihre Anwältin und dachte mir, daß Sie vielleicht den Rechtsberater der Familie ganz gern in der Nähe haben möchten, solange Sie hier sind, für den Fall, daß irgend etwas geregelt werden muß.«
    Dill schüttelte Anna Maude Singe die Hand. Sie fühlte sich kühl und fest an. »Ich wußte gar nicht, daß Felicity eine Anwältin hatte.«
    »Doch ja, mich.«
    »Also, ich möchte tatsächlich etwas, einen Drink.«
    Anna Maude Singe nickte zur linken Seite hinüber.
    »Wie wär’s denn mit der Schlammgrube?«
    »Fein.«
    Die Schlammgrube hieß ursprünglich Select Bar, doch Ölmänner hatten Anfang der dreißiger Jahre damit begonnen, das Lokal wegen seiner angenehmen Schummrigkeit Die Schlammgrube zu nennen, und der Name war haften geblieben, bis ihn das Hotel schließlich 1946 mit einer diskreten Messingtafel offiziell gemacht hatte. Der Raum war nicht sehr groß, ausgesprochen dunkel, sehr kühl, mit einer U-förmigen Bar, niedrigen, schweren Tischen und dazu passenden Stühlen ausgestattet, die mehr oder weniger bequem waren. An der Bar saßen nur zwei einsame Trinker, und an einem der Tische hockte ein weiteres Pärchen. Dill und Anna Maude Singe suchten sich einen Tisch nahe der Tür. Als die Kellnerin zu ihnen kam, bestellte Anna Maude einen Wodka on the rocks, und Dill meinte, er hätte gerne dasselbe.
    »Das macht mich sehr traurig, was mit Felicity passiert ist«, sagte Anna Maude beinahe förmlich.
    Dill nickte. »Danke.«
    Sie schwiegen, bis die Kellnerin mit den Getränken kam. Dill fiel auf, daß Miss Singe gewisse Schwierigkeiten mit ihren R’s hatte, so wenig merkbar allerdings, daß es ihm nicht aufgefallen war, bis dann ihr »traurig« fast wie ein »tlaulig« herauskam, doch andererseits auch wieder nicht ganz so prononciert. Dann sah er die feine weiße Narbe auf ihrer Oberlippe, wo sie, kaum noch sichtbar, von einem geschickten Chirurgen wegen einer Hasenscharte operiert worden war. Die R’s waren der einzige Buchstabe, mit dem sie noch immer gewisse Schwierigkeiten hatte, sonst war ihre Aussprache
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