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Schutzwall

Schutzwall

Titel: Schutzwall
Autoren: Ross Thomas
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sondern sagte nur: »Bis bald, Harold«, wandte sich um und ging über den zementierten Fußweg auf den dunkelgrünen, zwei Jahre alten Honda Accord mit Fünfganggetriebe zu, der in verkehrter Richtung am Bordstein geparkt war. Snow machte die Tür zu seinem Apartment hinter sich zu.
    Der Detective schloß den zweitürigen Honda auf, stieg ein, steckte den Schlüssel ins Zündschloß und trat die Kupplung durch. Es gab ein grelles Aufflammen, einen leuchtenden, weißorangenen Blitz, dann einen zerreißenden Knall und plötzlich Schwaden von dickem, fettigem, weißem Rauch. Als er sich langsam verzogen hatte, sah man, daß die linke Tür des Honda nur noch an einem Scharnier hing. Der Detective baumelte mit dem Oberkörper aus dem Wagen heraus, das einst rote Haar war jetzt ein Gewirr von schwarzem, verschmorendem Draht.
    Das, worin das linke Bein unterhalb des Knies endete, sah aus wie Stachelbeergelee. Nur die grüngrauen Augen bewegten sich noch, sie blinzelten ungläubig, öffneten sich noch einmal weit, voll nackter Angst, dann starb der Detective.
    Harold Snow war der erste, der aus der Tür seines Apartments im Erdgeschoß gerannt kam, dicht gefolgt von Cindy McCabe, einer mageren, tiefgebräunten, blonden Frau Ende Zwanzig, in deren Haaren grüne Lockenwickler steckten. Snow hatte jetzt Hosen an, jedoch keine Schuhe. Cindy McCabe, ebenfalls barfuß, trug ein Männer-T-Shirt in Übergröße und ausgeblichene Jeans. Snow hielt sie mit ausgestreckter Hand zurück.
    »Bleib hier«, sagte er, »der Benzintank könnte in die Luft gehen.«
    »O Gott, Harold«, sagte sie, »was ist bloß passiert?«
    Harold Snow starrte auf den schlaffen Körper des toten Detectives der Mordkommission. »Ich vermute«, sagte er langsam, »ich vermute, da hat jemand gerade unsere Hauswirtin in die Luft gesprengt.«

1
    Das Ferngespräch des dreiundfünfzigjährigen Chefs der Kriminalabteilung erreichte Benjamin Dill drei Stunden später. Inzwischen war es in Washington, D.C., auf Grund der unterschiedlichen Zeitzonen jetzt fast elf Uhr dreißig. Als das Telefon klingelte, lag Dill noch immer im Bett, allein und wach in dem einzigen Schlafzimmer seines Apartments, das er in einem Haus drei Blocks südlich des Dupont Circle an der N Street gemietet hatte. Er war an diesem Morgen bereits um fünf Uhr aufgewacht und hatte feststellen müssen, daß es ihm nicht gelang, wieder einzuschlafen. Um acht Uhr dreißig hatte er sein Büro angerufen und, eine Sommergrippe vorschützend, Betty Mae Marker mitgeteilt, daß er am heutigen Donnerstag nicht kommen würde und wahrscheinlich auch noch nicht am Freitag. Betty Mae Marker hatte ihm Ruhe, Aspirin und den Konsum großer Mengen von Flüssigkeit verordnet. Dill hatte nicht etwa beschlossen, an diesem Morgen seiner Arbeit fernzubleiben, weil er sich krank fühlte, sondern weil heute sein achtunddreißigster Geburtstag war. Aus unerklärlichen Gründen war er zu der Ansicht gelangt, das achtunddreißigste Lebensjahr als die Wasserscheide anzusehen, auf deren einer Seite die Jugend verrann und auf deren anderer die alten Tage dahinträufelten. Er hatte den Morgen im Bett verbracht und sich mit gedämpfter Neugier gefragt, wie er es geschafft hatte, in diesen mehr als drei Dutzend Jahren so wenig zustande zu bringen.
    Gewiß, so sagte er sich selbst, schaffte man es schon, sich einmal zu verheiraten und gleich zweimal geschieden zu werden – ganz ohne Scherz! Ein Jahr nachdem seine Exfrau sich an jenem regnerischen Juniabend des Jahres 1978 stillschweigend aus seinem Leben gestohlen hatte, hatte Dill im District of Columbia die Scheidung wegen böswilligen Verlassens beantragt. Offenbar fest davon überzeugt, daß Dill niemals etwas richtig machen konnte, hatte sie gleichzeitig in Kalifornien die Scheidung wegen Zerrüttung ihrer Ehe beantragt. Keine der Scheidungen wurde angefochten, und beide wurden rechtsgültig. Die beiden Dinge, an die sich Dill noch in Gedanken an seine frühere Frau erinnern konnte, waren ihre langen und außergewöhnlich schönen blonden Haare und die unverzeihliche Angewohnheit, Tomatenscheiben mit Zucker zu bestreuen. Nun, was ihr Gesicht betraf, so verwischte es immer mehr und war für ihn nur noch ein Fleck – immerhin ein herzförmiger.
    Während dieser langen Morgenstunden, in denen er Bilanz zog und abrechnete, was sich als sowohl langweilig wie auch deprimierend erwies, ließ Dill klugerweise seine Aktiva bei der Bank beiseite, deren Stand wie gewöhnlich lächerlich
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