Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schutzwall

Schutzwall

Titel: Schutzwall
Autoren: Ross Thomas
Vom Netzwerk:
etwas für Sie tun können, eine Hotelreservierung oder dergleichen, dann sagen Sie mir einfach –«
    Dill unterbrach ihn. »Das Hawkins, ist das Hawkins Hotel noch in Betrieb?«
    »Ja, Sir, ist es.«
    »Reservieren Sie dort für mich, bitte?«
    »Ab wann?«
    »Heute abend«, sagte Dill, »ich werde heute abend dort sein.«

2
    Dill stand vor einem der hohen, vom Fußboden bis fast zur Decke reichenden Wohnzimmerfenster, das nach Norden wies, und beobachtete den alten Mann mit seiner Polaroidkamera dabei, wie er ein Foto von der blauen Volvo-Limousine schoß, die kurz vor der Ecke 21st und N Street falsch geparkt war.
    Der alte Mann war der Besitzer eines leerstehenden vierstöckigen Apartmenthauses in der Straße, genau gegenüber von Dills Fenstern. Vor geraumer Zeit hatte der alte Mann das gallegrüne Gebäude an den Stadtbezirk zur Durchführung eines Programmes vermietet, in dessen Verlauf sich die Wohnungen mit Drogenabhängigen gefüllt hatten, die den Versuch machten, von ihrer Sucht wegzukommen. Nachdem die Mittel für das Programm erschöpft gewesen waren, hatten die Süchtigen wieder ausziehen müssen – niemand wußte genau, wohin – und dabei einen Sack voll Zeichnungen zurückgelassen, die vom Müllwagen gefallen und durch die Nachbarschaft geweht worden waren.
    Dill hatte eine der Zeichnungen aufgehoben. Sie war in verschiedenen Kreiden in grell gegeneinander gesetzten Grundfarben ausgeführt und anscheinend das Selbstporträt eines der Junkies gewesen. Das Blatt hatte ein purpurfarbenes Gesicht mit runden Augen, in die Kreuze eingezeichnet waren, und einem großen, grünen Mund gezeigt, aus dem Fangzähne herausstanden. Die Zeichnung hätte von einem aufgeweckten Erst- oder Zweitkläßler stammen können. Die Unterzeile in mühselig hingemalten Buchstaben hatte gelautet: Ich bin ein kaputter Dopeschlaffi. Dill fragte sich manchmal, ob die Therapie angeschlagen hatte.
    Nachdem die Drogensüchtigen ausgezogen waren, hatte der alte Mann das Haus allein bewohnt und sich geweigert, es zu verkaufen oder neu zu vermieten. Seine Beschäftigung bestand nun hauptsächlich darin, Polaroidfotos von all den Autos zu machen, die unvorschriftsmäßig davor geparkt waren. Er wählte bei seinen Schnappschüssen die Einstellung so, daß darauf sowohl das Parkverbotsschild als auch das Nummernschild des Verkehrssünders zu sehen waren. Mit seinem Beweisstück in Händen rief der alte Mann dann die Cops.
    Manchmal kamen sie; manchmal auch nicht. Dill beobachtete den Alten oft bei der Arbeit und war hingerissen von seiner unversöhnlichen Wut.
    Dill wandte sich vom Fenster weg, schaute nach unten und entdeckte, daß er eine leere Tasse samt Untertasse in den Händen hielt. Er konnte sich nicht erinnern, Kaffee gemacht oder getrunken zu haben. Mit langsamen Bewegungen durchquerte er das Zimmer in Richtung Küche – ein hochgewachsener Mann mit dem schlanken, straffen Körper eines Langstreckenläufers, einer Figur, die zu erwerben er praktisch selbst nichts geleistet hatte, sondern die ihm von seinem verstorbenen Vater zusammen mit dem scharfgeschnittenen, beinahe häßlichen Gesicht vererbt worden war, das alle männlichen Dills an ihre Söhne weitergegeben hatten; und das seit 1831, als der erste Dill dem Schiff aus England entstiegen war.
    Das hervorstechendste Merkmal des Gesichts war die Nase: die Dill-Nase. Sie sprang hervor und knickte dann fast senkrecht nach unten ab, ohne sich dabei zu einem richtigen Haken zu krümmen. Dann kam der Dill-Mund: dünnlippig, breit und scheinbar unerbittlich oder fröhlich, je nachdem, ob der Witz gut und die Gesellschaft angenehm war. Die Kinnpartie war ziemlich ausgeprägt, jedenfalls zu stark, als daß man sie schwächlich hätte nennen können, doch nicht ganz so ausgeprägt, um als entschlossen zu gelten, so daß viele sich dazu entschieden, sie als weich und gefühlvoll zu bezeichnen. Die Dill-Ohren waren groß genug, um bei steifem Wind ins Flattern zu geraten, doch lagen sie gnädigerweise dicht am Kopf an. Doch es waren die Augen, die das Gesicht beinahe davor bewahrten, häßlich zu sein. Die Augen waren groß und grau und sahen bei bestimmter Beleuchtung sanft, freundlich und sogar unschuldig aus. Bei wechselnder Beleuchtung veränderten sie sich, die Unschuld verschwand daraus, und sie blickten wie durch Schichten ewigen Eises.
    Vor der Küchenspüle aus rostfreiem Stahl stehend, ließ Dill volle zwei Minuten lang Wasser in die Tasse laufen, bis ihm bewußt wurde,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher