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Schutzengel mit ohne Flügel

Schutzengel mit ohne Flügel

Titel: Schutzengel mit ohne Flügel
Autoren: Arto Paasilinna
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Richtung, aber der Weg führte nicht zur Kirche, sondern zur nahen Kneipe. Sulo versuchte nach Kräften, die Frau zu einer Richtungsänderung zu veranlassen, aber sie war eigensinnig und trabte verbissen nach links, so wie es ihr in den Kopf gekommen war.
    Über sich selbst staunend, öffnete die Alte die Tür und trat in das Lokal, in dem ein lautes Stimmengewirr herrschte. Zigarettenqualm füllte die eine Hälfte des Raumes, im Nichtraucherbereich saß kein einziger Gast. Senni Kärväinen trat an den Tresen. Die fünfzigjährige Gastwirtin Helka Kaikkonen war erstaunt.
    »Nanu, Senni! Was machst du denn hier?«
    Senni wusste selbst nicht recht, warum sie in die Kneipe gekommen war, sie hatte nie solche Orte besucht.
    »Innerer Zwang, hab nicht anders gekonnt.«
    Kaffee und Kuchen waren während des momentanen Hochbetriebs nicht im Angebot, sodass Helka für Senni ein Bier zapfte.
    »Na gut, ich probier's mal, all den anderen scheint's ja auch zu schmecken.«
    »Es geht aufs Haus, weil du so ein seltener Gast bist«, erklärte Helka, als sie Senni den großen Humpen überreichte. Die setzte sich damit in den Nichtraucherbereich und nahm einen tüchtigen Schluck.
    »Huch, scheußlich, wieso schlürfen die Kerle dauernd diese Brühe, haben sie nichts Besseres zu tun?«
    Senni leerte rasch ihr Glas, rülpste und wartete auf die Wirkung.
    »Ich spür nix.«
    Die Wirtin füllte ein zweites Glas, diesmal bezahlte Senni und setzte sich wieder an ihren Tisch. Als sie auch diese Portion ausgetrunken hatte, fragte Helka:
    »Nimmst du noch eins?«
    »Kann ich machen.«
    Nach dem dritten Glas wurde Senni gesprächig und rief Bemerkungen zu den rauchenden Biertrinkern hinüber. Sie wollte von ihnen wissen, ob sie in letzter Zeit wenigstens einen einzigen Tag richtig gearbeitet hätten und ob auch nur einer von ihnen etwas anderes als Saufen im Kopf habe. Dann kam sie aufs Wetter zu sprechen und auf den neuen Arzt im Gesundheitszentrum, der völlig verrückt war. Verschrieb nicht die guten alten Medikamente, sondern schwatzte einem neue, teure auf. Erwähnung fanden auch die Stromausfälle vom vergangenen Winter, als der Schnee die Leitungen heruntergerissen hatte und die Dörfer ohne Elektrizität gewesen waren. Anschließend folgte noch ein Blick auf die Obrigkeit in Helsinki, richtig bekloppt waren die Herren dort, planten neuerdings, das nördliche Sumpfgebiet von Kerimäki ins Naturschutzprojekt Natura aufzunehmen.
    »Jetzt muss ich pinkeln«, sagte Senni nach dem vierten Bier mit einem verlegenen Lachen.
    Helka half ihr in die Damentoilette. Dort schwatzten sie noch eine Weile, und als das Geschäft erledigt war, beschloss Senni aufzubrechen. Sulo Auvinen seufzte vor Erleichterung, vielleicht könnte er die Alte doch noch in die Kirche dirigieren, so wie es ursprünglich seine Aufgabe gewesen war. Aber Senni war stark in ihrem Glauben und nicht mehr bereit, einen anderen Weg einzuschlagen. Sie wollte nach Hause, ihr Kopf dröhnte, und der Horizont wellte sich. Sulo Auvinen konnte nur noch versuchen, die Versuchsperson unter Einsatz all seiner geistigen Kräften einigermaßen manierlich in ihr Heim zu verfrachten. Senni stolperte die Straße entlang, lehnte sich zwischendurch immer wieder an Laternenpfähle oder Zäune. Die zähe Alte gab nicht auf, sondern wanderte, wenn auch im Zickzackkurs, heim zu ihrer Hütte, in der nur die alte zottige Katze auf sie wartete. Der Gatte war schon vor fünfzehn Jahren gestorben, war sein ganzes Leben lang hinter dem Schnaps her gewesen.
    »Der Anselmi ist ja dauernd so getorkelt, ach, dieser verflixte Kerl.«
    Der Heimweg dauerte länger als eine Stunde, obwohl sie nicht weit entfernt wohnte. Sulo Auvinen musste mächtig aufpassen, dass Senni nicht unter ein Auto geriet. Es war ihm peinlich, die Alte zum Pinkeln an den Straßenrand zu geleiten, das vierte Bier hatte seine Runde in ihrem Bauch gemacht und strebte zischend hinaus.
    Als Sulo die alte Frau endlich in ihre heimatliche Hütte gelotst hatte, wo die Katze sie verwirrt empfing, kehrte er zur Himmelskirche zurück und meldete sich beim Engel Gabriel. Er schämte sich ein wenig für den Kneipenausflug. Aber Gabriel akzeptierte die abgelieferte Probe und sagte, dass Sulo Auvinen letztlich doch Erfolg gehabt hatte. Es war ihm großartig gelungen, sich der Gedankenwelt der alten, eigensinnigen Frau zu bemächtigen, und alles wäre sicherlich nach den ursprünglich wohlmeinenden Plänen verlaufen, hätte es nicht zu Beginn dieses
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