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Schutzengel mit ohne Flügel

Schutzengel mit ohne Flügel

Titel: Schutzengel mit ohne Flügel
Autoren: Arto Paasilinna
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vor attraktiv im Vergleich mit Massenkrediten, und die Bedingungen für eine weitere Umsatzsteigerung der Konzerne haben sich verbessert. Ich empfehle also, Aktien zu zeichnen.«
    Diesen Blick auf die Börsenwelt nahmen die Teilnehmer leicht irritiert zur Kenntnis.
    Vor der Kirche war ein spezieller Themenpool eingerichtet worden, dort konnten die aktiven Teilnehmer in ihrer Freizeit die empfangenen Eindrücke vertiefen und sich selbstständig oder in kleinen Gruppen fundiertere Kenntnisse in jenen Teilbereichen aneignen, in denen sie nach Abschluss des Kurses tätig werden wollten. Sulo Auvinen wählte aus dem Angebot jene Themen, die ihn besonders interessierten:
    Rationalisierung und Problembereiche der Schutztätigkeit
    Neueste Aspekte der Inobhutnahme/Anwendbarkeit auf die Direktbetreuung
    Interdisziplinäre Zusammenarbeit beim Schutz widerspenstiger Schutzbefohlener
     
    Eine besonders interessante, wenn auch sehr anspruchsvolle Übung war das Erlangen einer sanften Herrschaft über die Gedankenwelt und damit die Taten der Menschen, um das Verhalten eines Menschen in einem bestimmten Rahmen steuern zu können. Solche Aufgaben wurden auch in der Praxis trainiert. Der Küster, der Kantor und sogar der Pastor der Kirche von Kerimäki dienten dabei als Versuchspersonen, da sie praktischerweise fast ständig anwesend waren. Sie wurden veranlasst, dies und jenes zu tun, auch Dinge, die sie von sich aus nie getan hätten. Den Kantor zum Beispiel ließen die Kursteilnehmer einige frivole Lieder singen, und der Küster musste vor der Kirche von Passanten eine Kollekte einsammeln, obwohl es ein normaler Wochentag war und gar kein Gottesdienst stattfand. Den Pastor lockten sie in den Glockenturm und ließen ihn dort predigen. Als der Engel Gabriel das jedoch sah, unterbrach er das geschmacklose Treiben und entließ den Pastor wieder in die Sakristei zu seinen angefangenen Arbeiten. Auf solchen Seminaren pflegt es nun mal vorzukommen, dass einige Teilnehmer ein wenig über die Stränge schlagen, aber es ging ja genau darum, die Gedanken und Taten des Menschen zu beeinflussen, und das musste schließlich irgendwie in der Praxis geübt werden.
    Die ganze Woche hindurch hörten die Teilnehmer zahllose langatmige Vorträge, machten Gruppenarbeit und diverse Übungen. Sie vertieften sich in den Tierschutz und lernten die neuesten Trends im internationalen Aktienhandel verstehen, obwohl es ihnen kaum machbar erschien, den heutigen jungen und unverfrorenen Bankern Vernunft oder gar guten Willen in die Schädel zu trichtern.
    Am Sonnabend, dem letzten Kurstag, musste jeder Engelsaspirant seine Befähigung in einer Abschlussübung unter Beweis stellen. Zu diesem Zweck wurden fünfhundert Bewohner von Kerimäki auf die zukünftigen Schutzengel aufgeteilt. Jeder bekam einen Menschen überantwortet und durfte nach Belieben in dessen Gedankenwelt eindringen und ihn nach seinem Willen handeln lassen. An diesem Maiwochenende waren viele Dorfbewohner draußen unterwegs, sodass es keine Probleme machte, fünfhundert Versuchspersonen zu beschaffen. Den ganzen Tag lang konnte man dann auf dem Markt und in den Läden der Ortschaft seltsame kleine Begebenheiten beobachten. Zum Beispiel fiel es den Kunden in den Supermärkten unter dem Einfluss der Engel erst in der Schlange vor der Kasse ein, dass sie noch Roggenmehl, Schuhcreme, Kerzen oder Ansichtskarten kaufen wollten, und sie gingen zurück, um die vergessenen Waren aus den Regalen zu holen. Auf den Straßen und Plätzen des Dorfes rannten die Leute hektisch hin und her, und Autofahrer steuerten kurzentschlossen Städte wie Varkaus oder Heinävesi an, wo einige von ihnen, angetrieben durch einen inneren Zwang, das Kloster Valamo besuchten.
    Am Nachmittag zeigte der Engel Gabriel schließlich Sulo Auvinen seine Versuchsperson, ein altes Weib, das die Dorfstraße entlangtrabte. Sulo sollte jene besagte Senni Karväinen veranlassen, in die Kirche zu treten und an der kleinen Abendandacht teilzunehmen, die der Pastor bereits in bewährter Manier eingeleitet hatte. Eifrig machte sich der künftige Schutzengel ans Werk. Er bemächtigte sich der Gedanken der Frau und hämmerte ihr die fromme Idee ein, nach links abzubiegen. Er hätte sie nach rechts lenken müssen, aber irgendwie verwechselte Sulo die Seiten, als er in der Höhe der Baumwipfel dahinflog und sein Zielobjekt von vorn und nicht von hinten beobachtete. Alles ging schief, an der Kreuzung wandte sich die Alte in die von Sulo gewiesene
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