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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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Hosentasche, während er die Münzen mit einer großen Geste geräuschvoll in eine Schale fallen ließ, in der Trinkgeld gesammelt wurde, das er einmal in der Woche unter den Angestellten brüderlich verteilte.
    Das war der Moment, in dem sich Kalle vorstellte. Er war keineswegs aufdringlich, sondern stand und wartete einige Augenblicke, bis er ein aufmunterndes Nicken als Antwort von Martin bekam. Den Bierkrug hielt er in der Hand. Er war kaum halb geleert.
    »Ich habe von weitem gesehen, dass du jemand bist, mit dem man sich unterhalten kann.«
    Das war freundlich gesagt, und es klang so, als ob er nicht schmeichelte. Martin richtete sich auf und biss sich auf die Lippe. Für ihn war dies eine unerwartete, überraschende Eröffnung eines Gesprächs. Nie hatte ihn jemand auf diese Weise angesprochen.
    »Die meisten haben nicht viel zu sagen«, antwortete Martin fast verlegen, als habe er Angst, bereits zu Beginn eine ungeschickte Bemerkung zu machen. »Trotzdem kann man über so viel sprechen«, fuhr er tastend fort, während sich der andere mit seiner Antwort Zeit ließ.
    »Nur wenn man sich gegenseitig hilft.«
    »So ist es.«
    Der blonde, kaum mehr als dreißig Jahre alte Fremde, dessen nichts sagender Vorname den Eindruck der Anonymität verstärkte, zeigte ein blasses Lächeln. Gleichzeitig glaubte Martin in seinen kornblumenblauen Augen ein listiges Blitzen entdecken zu können.
    »Ich habe alles gesehen.«
    Es lag kein Zweifel in dieser bemerkenswerten Feststellung, die mit singendem finnischem Akzent ausgesprochen worden war.
    »Ich habe auch alles durchschaut«, fuhr er fort, ohne deshalb übertrieben zu klingen.
    »Wirklich?«
    Bevor Martin eine Antwort gefunden hatte – er wollte sich nicht gleich wieder mit dem anderen verkrachen –, lehnte sich der andere über den Tisch, als wollte er dem neuen Bekannten ein Geheimnis anvertrauen.
    »Alles ist nur Lüge«, erklärte Kalle leise und mir einer Sicherheit, die nur jemand an den Tag legen kann, der glaubt, den vollen Durchblick zu haben.
    »Ich weiß Bescheid«, fuhr er fort, »denn ich war überall auf der Welt, und überall gibt es nur Lüge und Betrug. Die Reichen bestehlen die Armen und behaupten gleichzeitig, dass sie diese beschützen. Wenn es ihnen passt, holen sie die Polizei zu Hilfe, um sich gegen die Beschützten zu schützen, und notfalls wenden sie Waffen an. Sie können immer auf die Gesetze verweisen, die sie sicherheitshalber selbst geschrieben haben. Die Wahrheit ist, dass die Diebe und Mörder bestimmen. Es sind ihre Gesetze die gelten. Überall.«
    »Auch hier?«
    »Natürlich. Es gibt keinen Unterschied zwischen Schweden oder Finnland oder der übrigen Welt. Den, der mit einer Spielzeugpistole vor dem Kassierer einer Bank herumfuchtelt, lochen sie für fünf Jahre ein, während derjenige, der die Steuerzahler um eine halbe Million betrügt, Pension auf Lebenszeit erhält. Und daneben einige Nebenjobs, damit er seinen Lebensstandard halten kann.«
    »Die sagen, dass wir eine Demokratie haben.«
    »Auf dem Papier. Ja. Es gibt dir das Recht, zu wählen und jedes dritte oder vierte Jahr unter den Dieben zu landen. Nichts anderes. Ich habe nie meine Stimme abgegeben und gedenke dies auch nicht zu tun. Ich würde mich sonst vor mir selbst schämen, wenn ich eine so sinnlose Handlung ausführte.«
    »Ist es in der Sowjetunion besser? Oder in China?«
    »Überhaupt nicht. Begreifst du denn nicht? Nicht das System bedeutet etwas. Nur die Macht. Es gibt diejenigen, die die Macht besitzen und sie behalten wollen, und dann gibt es die, die sich prügeln, um sie zu erobern. Aber letzten Endes halten sie alle zusammen. Es ist nur ein Scheinstreit, und sie kämpfen ihn immer auf Kosten der Machdosen aus.«
    »Eins weiß ich mit Sicherheit«, sagte Martin, »ich besitze keine Macht.«
    »Siehst du!«
    Sie tranken viel Bier zusammen. An diesem Abend und an anderen Abenden, und sie redeten immer über dieselbe Sache. Aber Kalle erzählte auch, dass er bereits als Vierzehnjähriger von Ivalo fort musste, da er sich nicht versorgen konnte und niemand ihn versorgen wollte. Er war zur See gegangen und behauptete, in Norfolk, Kapstadt und Sydney habe er sein Schiff verpasst und sei eingesperrt worden. Doch nie in Russland.
    »Alle Gefängnisse sind Scheißlöcher«, stellte Kalle selbstsicher fest, »aber am allerbeschissensten sind die russischen.«
    Woher konnte er das denn wissen?
     
    »Ich hab’ was, das will ich dir verkaufen«, sagte Kalle ganz
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