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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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als die meisten anderen«, erwidert der Wirt und betrachtet den Jungen und die Dame an seiner Seite mit einem hämischen Lächeln auf den Lippen.
    »Jedenfalls ist er ungefährlich«, fügt der Wirt hinzu und geht wieder an seinen Platz hinter der Bartheke.

2
    Nicht einmal der körnige Schnee, der Martin ins Gesicht peitscht, vermag ihn in die Wirklichkeit zurückzuholen. Mechanisch schnürt er sich den Umhang zu und zieht die Mütze über die Stirn. Er befindet sich auf dem Weg nach Hause, ohne dass ihm das klar ist. Martins Beine bewegen sich in die richtige Richtung. Die Schritte erfolgen im Takt; wer ihm begegnet, tritt zur Seite, weil Martin ein bemerkenswertes Tempo an den Tag legt und nicht so aussieht, als wolle er ausweichen. Seine Gedanken verlaufen in immer engeren Kreisen. Martin murmelt die ganze Zeit vor sich hin, die Worte kommen mechanisch und haben keine Bedeutung. Er ist zugleich wütend und verzweifelt. Er ballt seine Fäuste, wie er es immer getan hat, um zu verhindern, dass die Wut aus ihm herausbricht.
    Erst als Martin die Wohnungstür hinter sich schließt, kehrt die Wirklichkeit wieder zurück. Die Nacht, lange nur ein verschwommener, formloser Nebel, ist endlich wirklich Nacht geworden. Martin zieht sich in der Diele aus und versucht die ganze Zeit, nicht auf den Besenschrank neben der Tür zu blicken. Er schaltet die Lampen im Zimmer und in der Küche ein und geht ins Bad, um die Schande und die schmählichen Erinnerungen an die Kneipe von sich zu waschen. Dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu wählen. Wie jede Wahl ist auch diese unausweichlich. Man kann sich nicht drücken, da Drückebergerei bereits eine Stellungnahme ist. Obwohl er wieder Zeit zu gewinnen versucht, weiß er, dass es sinnlos ist.
    Martin kann sich ausziehen, sich ins Bett legen und den Versuch machen, sich zum Schlaf zu zwingen, wie er es so viele Nächte davor getan hat. Wenn dann der Morgen kommt, schmutziggrau und elend, und er sich auf den Weg zur Arbeit begeben muss, bleibt nie Zeit für etwas anderes als das Alltägliche, das, was er mit allen anderen teilt und an dem sie ihn teilnehmen lassen, solange er sie nicht belästigt.
    Er macht einige Schritte auf das Bett zu, bleibt aber mitten im Zimmer stehen. Der Verstand – oder ist es der Selbsterhaltungstrieb? – versucht ihm einzureden, dass der Schlaf ein Segen ist, der ihn von den Beleidigungen und dem Hohn befreien kann. Man darf alles nicht so ernst nehmen. Was hat es für eine Bedeutung, dass ein Rotzjunge und eine Kneipenhure grob werden? Er weiß doch, dass er beiden überlegen ist.
    Martin zögert immer noch. Aus Feigheit? Der Schlaf befreit nie von etwas. Er schiebt nur auf. Er muss herausbekommen, welche Art von Mann er ist. Daher wählt er eine andere Möglichkeit und geht ins Badezimmer zurück, wo er sich selbst im Spiegel betrachtet.
    Zuerst gefällt ihm nicht, was er sieht. Es ist ein ängstliches Gesicht. Das Bild eines Mannes, der feige ist und sich drücken will. Ist das nicht der Grund, warum sie ihn so behandeln? Nach einer Weile schneidet er sich selbst Grimassen. Das hilft ein wenig, und als er einige Augenblicke später das Gesicht zu einem grotesken Grinsen verzieht, ist er nicht mehr so missmutig. Diesmal würde er an seinem Entschluss festhalten, auch wenn er sich über die Konsequenzen im Klaren ist.
    Das unterste Fach im Besenschrank. Dort bewahrt er Schuhcremedosen, Schuhbürsten und Putzlumpen auf. Er nimmt alles heraus und lässt es in einem Haufen auf dem Boden liegen. Dann muss er sich hinknien, um bis an die Wand zu kommen. Der Karton und das Handtuch, in das er ihn gewickelt hat, liegen ganz hinten, an der Mauer verstaut. Die Hände werden schmutzig von all dem Staub und der Feuchtigkeit, die sich dort während der vergangenen Monate und Jahre gesammelt haben, während der ganzen langen Zeit, in der er zu vergessen versuchte, was er versteckt hat.
    Martin richtet sich auf, den Karton in beiden Händen. Er ist schwerer, als er sich erinnert. Beinahe wäre er ihm entglitten, als er das Handtuch wegzieht, das er auf den Boden fallen lässt. Dann trägt er den Karton feierlich ins Wohnzimmer und stellt ihn auf den Tisch. Es ist ein ganz gewöhnlicher Schuhkarton. Martin hat ihn nur ein einziges Mal zuvor geöffnet. Das war der Abend des Tages, an dem er ihn nach Hause brachte.
    »Wie hieß der doch? Der Kerl, von dem ich ihn gekauft habe?«
    Martin reibt sich mit dem Knöchel der linken Hand an der Kinnspitze. Er weiß, dass
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