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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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er dabei ist, einen Entschluss zu verwirklichen, vor dem er immer ausgewichen ist. Wäre es trotz allem nicht besser, den Schuhkarton ungeöffnet in sein Versteck zurückzustellen? Jeder würde sagen, es sei vernünftig von ihm, und ist nicht die Vernunft die Bedingung dafür, dass er sich frei unter all diesen Menschen bewegen kann, die nicht wollen, dass er etwas Unüberlegtes unternimmt? Stell den Schuhkarton zurück! Oder noch besser: Trenn dich von ihm!
    Aus Vernunft hat er sich angepasst. Deshalb stellen sie immer Forderungen an ihn, ununterbrochen. Es sind all diese anderen, die von ihm verlangen, dass er vernünftig handeln soll. Wie ein Sklave. Ohne dass sie ihm etwas dafür zurückgeben. Sie haben ihn gezwungen zu gehorchen und zu schweigen, sie haben ihn aber nie an der Gemeinschaft teilnehmen lassen. An ihrer Gemeinschaft. Sie schauen auf ihn wie auf einen Außenstehenden, sie haben aber nie zugegeben, dass sie es sind, die ihn zu einem Ausgestoßenen gemacht haben.
    Vor sich sieht Martin die Szene in der Kneipe. Den Wirt, der ihn von der Seite des Tisches mit seinen kühlen Augen anstarrt, und wie er sich selbst in die Ecke drückt. Er sieht einen Tölpel, der sich mit verschüttetem Bier die Hose nass gemacht hat. Die Frau, die so verächtlich lächelt, und den Jungen, der anmaßend seine Faust ballt.
    All die anderen, die nichts unternehmen und darauf warten, dass er gedemütigt wird.
    Die Wut kocht in ihm hoch, und mit einem heiseren Knurren reißt Martin den Deckel vom Schuhkarton.
    Jetzt ist es geschafft.
    Das schwarze, drohende Ding auf dem Boden des Kartons starrt ihn an, mit einer Kälte, die ihn schaudern lässt. Martins Muskeln zittern, als er den Revolver herausnimmt und ihn mit beiden Händen vor sich hält.
    Da geschieht etwas Merkwürdiges. Es ist, als strömten die eiskalte Drohung und die unbezwingbare Stärke der Waffe in seinen eigenen Körper.
    Plötzlich ist Martin ganz ruhig. Er trägt den Revolver zum Sessel, so vorsichtig, als hätte er ein Kind im Arm, und lässt sich nieder, um sich zu erinnern. Zum ersten Mal seit langer Zeit schließt er die Augen, ohne sich zu schämen.
     
    »Ich heiße Kalle.«
    Vielleicht stimmt das.
    »Ich bin Finne.«
    Das erklärt viel. Aber nicht alles.
    »Aus Ivalo.«
    So hatte es angefangen. Es war Winter wie jetzt, aber ein Winter ohne Kälte und Schnee. Die Tage waren feucht und grau. Seit Wochen hatte niemand die Sonne gesehen. Da verwandelten sich die Leute in der Stadt, sie schrumpften und wurden zottig. Die meisten begaben sich mürrisch von der Arbeit nach Hause, ohne irgendeine Freude zu erwarten. Stattdessen begannen sie, mit den Kindern oder Ehepartnern herumzustreiten, während sie insgeheim das Verlangen hatten, sich endlich der düsteren Wirklichkeit zu entziehen, indem sie die Augen schlossen und sich der Nichtigkeit des Schlafs hingaben. Wer niemanden hatte, der ihn daheim erwartete, suchte wie immer zuerst die Kneipen auf, ohne dort bei Bier oder Schnaps Trost finden zu können. Alle waren grantig und reizbar. Sie erinnerten an kraftlose Raubtiere, die man aus ihrem Winterschlaf gerissen hatte. Körperverletzung und Streit ereigneten sich ohne den geringsten Grund in der ganzen Stadt.
    In der Kneipe saßen die Männer, jeder für sich, und starrten in die Zeitung. Martin konnte an ihren abweisenden Rücken ablesen, dass sie sich gegen alle und alles zu wehren gedachten, was in ihre Nähe kam. Plötzlich hielt ein Taxi vor der Eingangstür, und ein Mann stürmte herein. Er hatte seinen Mantelkragen hochgeschlagen, man konnte aber an seinem wilden Blick und dem zerzausten Haar sehen, dass er außer sich war vor Zorn oder Verzweiflung.
    »Einen Wodka«, zischte er und warf verbissen einen Geldschein auf die Bartheke.
    Das Bestellte wurde nach einem forschenden Blick des Barkeepers rasch serviert. Der Mann war nicht angetrunken, sein Verlangen aber ließ Maßlosigkeit erkennen, was durch seine Ungeduld noch verstärkt wurde. Ohne zu danken, zog er das Glas an sich und leerte es in einem Zug. Einen Augenblick später war er mit Riesenschritten auf dem Weg zur Tür, und dann konnten alle hören, wie das Taxi mit aufheulendem Motor verschwand.
    Der Mann hinter der Bar stand einige Sekunden starren Blicks mit den Geldscheinen und den Wechselmünzen in der einen Hand da, als würde er sie wiegen, um ihren richtigen Wert zu erkennen, dann lächelte er in sich hinein, anerkennend und zugleich nachdenklich. Die Scheine stopfte er in die
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