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Schuldig wer vergisst

Titel: Schuldig wer vergisst
Autoren: Kate Charles Anke und Dr Eberhard Kreutzer
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wieder.

ZWEI
    Es dauerte mehrere Tage, bis Callie die Zeit fand, Morag Hamilton einen Besuch abzustatten. Hinterher hätte sie nicht mehr sagen können, was sie dazu brachte, ihre Termine umzuschmeißen, Morags Anschrift herauszufinden und unangekündigt bei ihr auf der Matte zu stehen. Aber egal, warum sie es getan hatte, sie bereute es nicht.
    Bei ihrem Anblick legten sich Morags Augenwinkel in einen freudigen Faltenkranz. »Was für eine nette Überraschung«, sagte sie und riss die Tür weit auf. »Kommen Sie rein und trinken Sie eine Tasse Tee mit mir. Ich hab gerade Wasser aufgesetzt.«
    »Sehr gerne.« Callie folgte ihr in die Wohnung.
    Der Pfarrbezirk von All Saints’ in Bayswater war voller eleganter alter Häuser, die in Wohnungen umgewandelt worden waren. Dieses hier gehörte nicht dazu. Es war ein Wohnblock aus den Sechzigerjahren – einem Tiefpunkt in der britischen Architektur – und fiel zwischen all den georgianischen Residenzen auffällig aus dem Rahmen. Zur Zeit seines Entstehens musste es der Inbegriff an moderner Wohnkultur gewesen sein, doch jetzt wirkte es altmodisch, kahl und hässlich. Morag hatte offensichtlich aus ihrer Wohnung das Beste gemacht und sie mit behaglichen Möbeln und Aquarellen in sanften Farben, die vermutlich schottische Landschaften
darstellten, ausgestattet. In dem klotzigen modernen Kamin loderten natürlich wirkende Flammen, und auf einem alten Klavier waren mehrere gerahmte Fotografien aufgereiht. Eine vielseitige Sammlung von neueren Taschenbuch-Romanen und in Leder gebundenen Klassikern von Dickens, Scott und Robert Louis Stevenson drängte sich in einem hohen Bücherregal. Callie hatte die Angewohnheit, ihre Antrittsbesuche bei neuen Gemeindemitgliedern mit einem Blick auf die Bücher und Fotos zu beginnen, um etwas über die Interessen, die persönliche Geschichte und die Familie des Betreffenden zu erfahren. So auch in diesem Fall.
    Hier gab es Anknüpfungspunkte in Hülle und Fülle, doch Morag kam sehr schnell mit dem Tee zurück.
    »Entschuldigung«, sagte Callie, als sie bei ihrer genauen Betrachtung der Bilder ertappt wurde. Doch Morag schien nichts dagegen zu haben. »Kein Problem. Da ist nichts Geheimnisvolles dran.«
    »Ihre Familie?«, ermunterte Callie sie, ihr etwas über sich zu erzählen.
    »So ist es.«
    »Und Sie haben einen Hund!« Callie nahm das Foto von einem kräftigen, hellbraunen Cairn-Terrier zur Hand, der vor einer Heidelandschaft stand, in deren Hintergrund hohe Berge aufragten, und mit glänzenden Augen in die Kamera blickte.
    » Hatte einen Hund«, sagte Morag in nüchternem Ton, obwohl Callie hinter der Bemerkung starke Gefühle wahrnahm. »Macduff. Der beste Hund auf der Welt.«
    »Ach so, er …«
    »Lebt nicht mehr. Ist jetzt ein halbes Jahr her. Ist immerhin sechzehn geworden, schönes Alter für einen Hund. Aber …«
    Callies Bedauern war aufrichtig. »Oh, das tut mir so leid. Sie müssen ihn sehr vermissen.«
    »Und ob ich das tue.«

    »Ich habe auch einen Hund«, vertraute ihr Callie spontan an. »Einen Cockerspaniel – schwarz-weiß. Bella. Ich habe sie noch gar nicht so lange, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre, sie zu verlieren.«
    Morag seufzte und bekam feuchte Augen. »Ist halt nicht zu ändern. Trotzdem hart, wie kurz sie leben.« Sie griff nach einem anderen Foto, auf dem ein Mann mit rotblondem Haar und Metallrandbrille zu sehen war. »Donald, mein Mann. Wir waren fast vierzig Jahre verheiratet. Er ist ein paar Monate vor Macduff gestorben. Und ich schäme mich zu sagen, dass ich von beiden Macduff wahrscheinlich sogar ein bisschen mehr vermisse. Andererseits war ich auch viel mehr mit ihm zusammen als mit Donald. Er war Arzt – hat die ganze Zeit, die Gott ihm gegeben hat, gearbeitet, und noch ein paar Überstunden obendrauf.«
    »Dann sind Sie jetzt allein?«
    »Ja, ich bin allein.« Morag stellte das Bild aufs Klavier zurück und wandte sich wieder ihrem Teetablett zu. »Nehmen Sie Zucker, meine Liebe?«
    »Nein, danke.« Callie setzte sich ihr gegenüber in einen abgewetzten, aber bequemen Sessel, während Morag ihnen Tee einschenkte. Jetzt war sie noch neugieriger geworden: Warum war Morag Hamilton nach London gezogen?
    »Sie sagen, Sie wohnen noch nicht lange hier?«, fühlte sie vor.
    »Nein, erst seit Kurzem.« Morag reichte Callie eine Tasse. »Ich kenne hier noch kaum jemanden. Es ist nicht … na ja, es ist nicht wie in Schottland. Die Leute hier sind ein bisschen zugeknöpft, oder? Sie
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