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Schuldig wer vergisst

Titel: Schuldig wer vergisst
Autoren: Kate Charles Anke und Dr Eberhard Kreutzer
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überschlagen sich nicht gerade vor Freundlichkeit.«
    »In All Saints’ versuchen wir schon, freundlich zu sein«, sagte Callie, sich verteidigend.
    Morag bot ihr einen Teller mit Shortbread-Keksen an. »Ja. Und das weiß ich zu schätzen. Eine Reihe Leute haben nach
dem Gottesdienst mit mir gesprochen und so. Aber Sie sind die Erste, die vorbeikommt.«
    Callie schämte sich für ihre Gemeinde, vom Pfarrer ganz zu schweigen. Als sie bei ihrer wöchentlichen Besprechung Brian gegenüber Morag Hamilton erwähnte, hatte er sie geistesabwesend angesehen. »Ich glaube, ich weiß, wen Sie meinen«, hatte er gesagt. »Kleine Frau? Graues Haar? Wenn Sie Zeit haben, besuchen Sie sie auf jeden Fall mal.«
    Wenigstens hatte sie Brians Segen, dachte sie nüchtern. Er hatte nicht gern das Gefühl, dass sie etwas hinter seinem Rücken machte.
    »Ich muss Ihnen was beichten«, sagte Morag, als Callie gerade in ein Shortbread biss.
    O je, dachte Callie, die sofort an die kirchliche Bedeutung des Wortes dachte. Sie hatte noch niemandem die Beichte abgenommen, und als Diakonin ohne Priesterweihe durfte sie das auch noch gar nicht. »Wenn Sie das Sakrament der Beichte wollen, dann müssen Sie sich leider an Father Brian wenden«, entschuldigte sie sich. »Ich bin nur Diakonin.«
    Morag lachte. »Nicht die Art Beichte!«
    Callie wurde rot und sagte: »Ach so, ja dann.«
    »Ich war noch nie ein großer Kirchgänger«, fuhr Morag fort. »Ich habe immer versucht, ein anständiger Mensch zu sein, aber ich hatte weder Zeit noch Lust, ständig in die Kirche zu rennen.«
    »Hm«, erwiderte Callie, die nicht recht wusste, was an dieser Stelle von ihr erwartet wurde.
    »Aber als ich nach London kam und sah, dass All Saints’ direkt um die Ecke liegt, dachte ich mir, ich kann da vielleicht leichter Leute kennenlernen.«
    Callie konnte ihre Neugier nicht länger zügeln. »Wieso sind Sie denn überhaupt nach London gezogen?«, platzte sie heraus. »Wenn Sie hier niemanden kennen?«

    »Oh, ich habe nicht gesagt, dass ich hier niemanden kenne«, sagte Morag und verzog die Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln. »Ich habe nur gesagt, dass ich allein lebe. Das ist auch so, aber mein Sohn und seine Familie wohnen hier in der Nähe, in St. John’s Wood.«
    »Ihr Sohn!« Callie prustete ein paar Kekskrümel in ihren Schoß.
    »Angus.« Morag setzte ihre Teetasse ab und ging zum Klavier, um ein anderes Bild zu holen, das sie vor Callie auf den Tisch stellte. »Und das ist meine Enkelin Alex, und meine Schwiegertochter Jilly.«
    Callie nahm das Foto und sah es sich genau an. Kein Schnappschuss, sondern ein Familienporträt aus einem Studio, und sicher nicht billig. Der Mann, Angus, stand in der Mitte, was Callie interessant fand. Er schien nicht sehr groß zu sein und hatte dunkles Haar, das sich über der Stirn stark lichtete, obwohl er trotzdem überraschend jung aussah. Er trug einen gut sitzenden, höchstwahrscheinlich maßgeschneiderten Anzug und dazu eine leuchtend bunte Krawatte, wie sie derzeit von Nachrichtensprechern bevorzugt wurden. Seine Augen starrten unter schweren Lidern hervor beinahe herausfordernd in die Kamera.
    Jilly, die Frau, stand rechts von ihm. Hätte man den Begriff »Traumfrau« im Lexikon nachgeschlagen, dachte Callie, hätte ihr Bild alles erklärt. Sie war blond, sie war jung. Sie war auf eine höchst gepflegte, elegante Weise schön. Ihr Kleid war nicht direkt gewagt, verbarg aber auch nicht viel: ein Körper, der im Fitnessstudio genauso zu Hause war wie auf der Sonnenbank. Ihr Blick war kokett von der Seite auf ihren Mann gerichtet.
    Das Kind, Alex, war eine vollkommen andere Sache. Auch wenn sie – zweifellos auf Anweisung des Fotografen – in die Kamera schaute, wirkte der Blickkontakt erzwungen, als hätte sie mit alldem wie auch mit den anderen Personen auf
dem Bild absolut nichts zu tun. Ihre Augen sprachen so deutlich wie Worte: »Das hier war nicht meine Idee und hat nichts mit mir zu tun.«
    Niemand hätte in ihr ein schönes Kind gesehen, dabei war sie trotz ihres Versuchs, sich unsichtbar zu machen, zweifellos faszinierend. Ihr Haar war eher kraus als gelockt, und sie hatte einen großen Mund, der sich zu einem aufgesetzten Lächeln verzog, sodass ihre Zahnspange zum Vorschein kam. Ihre großen, ausdrucksvollen Augen wurden von dichten Wimpern gerahmt.
    »Wie alt ist Alex?«, fragte Callie. »Ist das ein aktuelles Foto?«
    »Ja, ziemlich. Sie ist zwölf.«
    Das erklärte es zum Teil: Callie erinnerte
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