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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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die Tube, war es deinem Vater egal. Dann ist er erst recht langsam gefahren.«
    »Weil es unnötig war. Wer soviel unterwegs war wie ich, fährt nicht nach Gefühl, sondern nach Zeitplan. Nicht wahr, Doris, ich wußte immer exakt, wie lange wir noch brauchten.«
    »Ja, vielleicht   … Ich weiß nicht«, sagte Do vage. Sie wollte der Auseinandersetzung keine neue Nahrung geben.
    |290| »Du weißt es nicht mehr?« Seine Augenbrauen verschwanden erstaunt unter dem Verband, und sein Kopf sah mehr denn je aus wie ein Totenschädel. »Aber du hast mich doch immer danach gefragt. Kaum waren wir losgefahren, hast du von hinten mit deiner niedlichen Mädchenstimme gefragt, wie lange wir noch brauchen, und ich habe es dir auf die Minute genau vorausgesagt. Und es hat immer gestimmt. Es war ein Spiel zwischen uns, daran wirst du dich ja noch erinnern.«
    »Nicht mehr so deutlich. Ja, mag sein.«
    Ursel sagte: »Ein Spiel nennst du das? Diese Fahrten waren ein dramatischer Wettlauf gegen die Zeit. Deine Tochter und ich, wir erinnern uns an kein Spiel.«
    »Das habe ich so nicht gesagt, Mama«, widersprach Do.
    »Siehst du«, sagte ihr Vater. »Es
war
ein Spiel.«
    »Papa, es ist doch völlig egal.«
    »Nein, Doris, das ist es nicht«, widersprach er ihr barsch. »Du hast mir vorgeworfen, ich hätte unsere Familie zerstört, aber wer   …«
    »Das ist nicht wahr, Papa! Hör auf damit.«
    Ursel sagte: »Es stimmt aber, Dori. Das hat er.«
    Ihr Vater sagte: »
Ich weiß, woran ich mich erinnere

    »Bist du dir da
jetzt
noch sicher?«
    »Mama!!«
    Er sagte: »Es ist mir egal, daß ihr mich für verrückt haltet.«
    »Niemand hält dich für verrückt«, sagte Do.
    »Ich schon«, sagte ihre Mutter und verließ das Zimmer. Er starrte immer noch hinaus. Diesige Luft ließ die Hitze draußen zu einer flachen Lichttapete werden; die lange  |291| Hochdruckperiode sollte heute mit Gewittern abklingen. Neben dem hohen Fensterrahmen saß ihr Vater klein und eingefallen da. Do dachte daran, daß sie sich in Kürze über die schwere Luft erheben würde, nicht aber über ihren Schmerz. Sie sagte: »Muß es immer darauf hinauslaufen, daß einer von euch geht?«
    »Sie will nur eine rauchen«, sagte ihr Vater.
    Der sichtbare Teil seines Gesichts war verbittert in sich zusammengefallen. Do blieb noch ein paar Minuten, aber das Schweigen war unerträglich. Als sie sich zu ihm hinbeugte, um ihn zum Abschied zu küssen, sagte er leise: »Sag mir, Bärchen, daß es dieses Spiel gegeben hat. Ich muß wissen, daß in meinem Kopf alles in Ordnung ist. Bitte sag es mir.
Es war so

    »Es wird alles gut«, sagte Do und ging hinaus.
    Als sie durch die Krankenhauskorridore ging, fühlte sie sich elend. Es war unverzeihlich, daß sie es als Befreiung empfand, das Gebäude verlassen zu können. Die drückende Sommerluft draußen war so betörend leicht zu atmen, sogar das beigemischte Nikotin, als sie sich ihrer Mutter näherte. Im Auto sagte sie: »Ihr solltet euch vertragen. In eurem Alter!«
    »Du meinst, jetzt, wo’s ihm an den Kragen geht?«
    »Mama, du bist unerträglich.«
    »Denk, was du willst. Es ist reine Barmherzigkeit, daß ich ihm immer noch helfe. Ich frage mich, warum ich ihn nicht einfach seinem Schicksal überlasse. Alles, was ich für meine Hilfsbereitschaft ernte, sind wüste Beschimpfungen und Schmähungen. Ich bewundere dich, Dori. Du hast es lange mit ihm ausgehalten, und das war gewiß eine gute |292| Tat.« Danach schwiegen sie. Auf der Autobahn sagte Ursel: »Ich frage mich aber, ob es nicht sehr riskant und auch ein bißchen leichtsinnig von dir war, Oliver solange mit deinen Kindern allein zu lassen. Weißt du, dieser Geschlechtermischmasch heutzutage ist ja gut und schön, aber er ist und bleibt ja nun ein Mann.«
    »Er ist sehr verantwortungsbewußt.«
    »An deinem Geburtstag war er’s aber nicht«, sagte sie. Da Do nichts entgegnete, fuhr sie irgendwann fort: »Ich hoffe natürlich nicht, daß es auf eine Trennung hinausläuft, Liebes, aber wenn, dann solltest du dir keine Vorwürfe machen. Soll ich dir etwas sagen: Wenn ein Mann mit der ihm angestammten Brutalität eine Frau aus der Wohnung schmeißt, steht’s in
Bild
. Wenn eine Frau dagegen einen Mann hinauskomplimentiert, weil sie ihn satt hat, steht’s in
Schöner Wohnen

    Do entgegnete spröde: »Schön, daß du Witze darüber machen kannst. Ich kann’s noch nicht.«
    »Sei doch nicht so humorlos, Kind. Das Leben geht weiter. Was war eigentlich mit diesem
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