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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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zumindest verwickelt. Oliver fragte sich nämlich, ob Schrödinger und er durch eine Art von Partnertauschhandel miteinander verbunden waren. Sein Skizzenblock lag auf dem Tisch, und der Zauberer entdeckte ihn. Als er ihn |278| aufschlug, stutzte er, und seine Verblüffung schien echt zu sein.
    »Sie
müssen
mir diese Zeichnungen überlassen«, sagte er ungewöhnlich leise. »Wie ist das nur möglich? Sie haben die Heldinnen erschaffen, an deren Auferstehung ich vergeblich gearbeitet habe. Diese Bilder sind perfekt! Sie schockieren und sie demütigen mich. Oliver, Sie führen mir vor Augen, was ich nicht zustande gebracht habe. Sie haben
meine
Vision erschaffen!« Er blätterte erregt vor und zurück und sagte: »Salome, Tullia d’Aragona und Mata Hari! Ich bin zutiefst aufgewühlt. Wie konnte Ihnen
das
gelingen? Lassen Sie mir diese Zeichnungen. Wenigstens jeweils eine davon. Ich zahle Ihnen, was Sie wollen!« Daß der Zauberer nun über Geld sprach, erinnerte Oliver daran, daß er hundertachtzigtausend Euro besaß, die er nur noch kapitalisieren mußte, um sie nach Herzenslust auszugeben. Und er verdankte dieses Geld keinem anderen als Schrödinger: hundertachtzigtausend Euro für drei Zeichnungen – das war eine Menge. Es war so viel, daß er sich für ein paar Sekunden als international gehandelter Künstler fühlen durfte. Er überließ Schrödinger die Zeichnungen umsonst.
    Der Magier protestierte vehement: »Brot sollte umsonst sein, und Fleisch und Kleidung und Benzin – aber
niemals
Kunst! Wenn es überhaupt etwas auf der Welt gibt, das mehr als einen müden Cent wert ist, dann
nur
die Kunst. Nur die Kunst bereichert und befreit uns. Kunst
ist
Freiheit, ein Quantentanz im dunklen Reich unserer Rübe. Kunstwerke beglücken uns auf allen Ebenen, sie erfreuen sowohl das Großhirn als auch das Stammhirn. Ehrlich |279| gesagt, Oliver, Kunst ist ja auch ein Mittel zur Triebabfuhr. Für den Künstler sowieso, aber warum nicht auch für das Publikum? Das wagt nur keiner so klar zu formulieren, aber was spricht eigentlich dagegen? – das ist jedenfalls meine Position. Ich sehe es so: Nicht wir verdanken den Göttern unsere Existenz, sondern es ist ganz und gar umgekehrt. Der Olymp ist
unser
Werk, das unserer erotischen Fantasie, ein herrlich verlottertes, frivoles Paradies, das uns anspornt, in Liebesdingen bei der Stange zu bleiben.«
    Er entschied sich für eine einschleierige lempickaartige Salomeversion, eine nackte lesende Tullia d’Aragona und eine hart an der Grenze zur Pornografie agierende Mata Hari. Nachdem er die Blätter eingesteckt hatte, kam er zu dem mitgebrachten Paket. Es hatte ein Geschenk sein sollen, doch nun sollte Oliver es als bescheidenen Dank für die Zeichnungen betrachten. Er öffnete die Schachtel und holte den Wilcox-Gay Röhrenempfänger heraus.
    »Ich trenne mich nur sehr ungern davon«, sagte er, »aber was ist dieser kleine Kasten gegen Ihre Zeichnungen! Außerdem weiß ich das gute Stück bei Ihnen in den besten Händen. Das Gerät liegt mir sehr am Herzen. Fragen Sie Do. Sie weiß, warum.«
    Als er sich verabschiedete, forderte er Oliver noch einmal dringend auf, mit Do nach Wien zu kommen. Dort würden sie alle zusammen einen Zug durchs Leopoldmuseum machen, in dem all diese fantastischen Klimts und Schieles zu bestaunen seien. Niemand habe so fantastische, furchterregende Mösen gemalt wie Schiele! Und Oliver dachte: Gott sei Dank, er ist doch noch derselbe.
    |280| Als er wieder allein war, telefonierte er mit den Banken, um seine Knetgummi-Aktienpakete aufzulösen und den Verkaufswert seinen Depotkonten gutschreiben zu lassen. Es stellte sich aber heraus, daß alle Institute für diese Transaktion seine Unterschrift benötigten. Er sah auf die Uhr, es war kurz vor zwölf. Er hängte ein Geschlossen-Schild in die Tür, um die Sache lieber noch vor dem Wochenende in Angriff zu nehmen. Auf einmal fand er, daß er in einer fantastischen Zeit lebte: Hundertachtzigtausend Mäuse in vier Monaten.
    Er setzte sich in seinen Lupo und düste los. Im Radio ging es um den Zaunkönig, der zum »Vogel des Jahres« gekürt worden war, von wem auch immer. Der Moderator war einer von diesen typischen Medienschlaumeiern, die bei jedem Ereignis den Durchblick haben. Sein Interviewstil war Besserwisserei im Gewand von Fragen. Er wollte immer wieder darauf hinaus, daß der Vogel doch bestimmt bedroht war, aber das war er nicht. Untersuchungen hatten sogar ergeben, daß sich der Zaunkönig in der
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