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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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Haut war einem matten Gipsgrau gewichen. Er trug ein Paket unter dem Arm und hielt eine Weinflasche in der Hand. »Ich habe Do an ihrem Geburtstag einen einzigartigen Tropfen aus meinen bescheidenen Beständen versprochen. Wir hatten doch so ein kleines Tête-à-tête in meiner Bude, weil meine Nachbarin die Pferde scheu gemacht hat. Wären Sie so lieb, ihr diese Flasche zu geben?«
    Olivers zweiwöchige Seelenreinigung zeigte Wirkung; er blieb ruhig und sagte: »Sie können sie ihr selbst geben. Sie kommt heute nachmittag zurück.«
    »Das geht leider nicht«, sagte der Zauberer, stellte das Paket auf den Tisch und setzte sich unaufgefordert auf Olivers Beratungscouch. »Ich bin gekommen, um mich von Ihnen zu verabschieden. Ich breche meine Zelte hier ab. Ich bin gerade mit so einer jungen, dynamischen Maklerin durch mein Haus gesprintet. Sie ist entzückt. Das verstehe ich, aber wissen Sie was, Oliver: Mein Haus ist für mich wertlos. Ich habe es Ihnen ja einmal erklärt: Es war für mich viel mehr als ein komfortables Dach über dem Kopf. Es war das Kraftzentrum meiner Kunst. Eine Inspirationsquelle. Tja, und nun? Um die Wahrheit zu sagen, Oliver: Mein Schlafzimmer hat jede spirituelle Potenz verloren. Ich kann es Ihnen nicht anders erklären, aber es ist wie mit diesem dunklen Kasten meines Großvaters, Sie wissen schon, diese brutale Sache mit der eingesperrten Katze: Solange der Deckel zu ist, ist die Katze |276| unsterblich, und die engen Gesetze unseres Makrokosmos haben in ihrem Reich keine Gültigkeit. Aber wehe, Sie öffnen die Tür, um nachzuschauen, was läuft! Dann ist es aus. Die ganzen wunderbaren Quanten der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten sausen zurück in die ausgelatschten Bahnen der Realität. Finito amore. Tja, und was soll ich Ihnen sagen: Es kommt mir vor, als sei genau das geschehen. Irgendwie ist aus dem Raum die magische Luft raus. Es ist, als hätte jemand den Stöpsel gezogen, und meine schöpferische Fantasie ist in die Kanalisation der Wirklichkeit gegluckert.«
    »Na, so etwas«, murmelte Oliver.
    »Ja, so sieht’s aus«, nickte Schrödinger. »Sie sind selbst ein kreativer, ein schöpferischer Mensch und wissen, was es bedeutet, wenn einem der Saft ausgeht und man das Gefühl hat, nichts mehr zustande zu bringen. Es ist schrecklich! – Oliver, ich muß den Tatsachen ins Auge sehen. Glauben Sie mir, ich habe mich hier pudelwohl gefühlt. Ihre Freundschaft bedeutet mir sehr viel, und Do ist eine einzigartige Muse. Ich war nur ein paar Monate hier, und doch kommt es mir so vor, als hätte ich in Ihrer Nähe eine Heimat gefunden. Aber es hilft alles nichts: Ich muß weiterziehen, das ist mein Schicksal. Es ist das Schicksal eines jeden Künstlers. Entweder wir fangen immer wieder von vorne an, oder unsere Quellen versiegen. Ist es nicht so?« Der Zauberer hatte sich ein wenig in seine alte Form geredet, und sogar das rosige Leuchten des Bluthochdrucks wurde wieder sichtbar, als er verkündete: »Ich werde nach Wien gehen! Wien ist die einzige Stadt, die für mich in Frage kommt. Der Umzug ist eine Rückkehr zu meinen |277| Wurzeln. Mein Großvater war Wiener, auch wenn er ständig umhergezogen ist. Er hatte ungefähr zehn Professuren. Er war ein paar Jahre in Berlin, aber dreiunddreißig ist er zunächst nach Belgien gegangen und von dort aus nach Dublin, um in den fünfziger Jahren nach Wien zurückzukehren. Alles in allem scheine ich also seine Gene geerbt zu haben.«
    »Ich war noch nie in Wien«, sagte Oliver.
    »Aber dann
müssen
Sie und Do mich besuchen kommen«, rief Schrödinger aus. »Wien ist eine der größten Kunstmetropolen überhaupt. Wien, das ist nichts außer Korruption und Kultur – wunderbar! So ähnlich wie Rom! Oliver, Sie sind Künstler, Sie werden sich dort sofort zu Hause fühlen. Apropos, ich würde Ihnen gern eine Ihrer Zeichnungen abkaufen. Ich möchte in meinem neuen Haus dort unten ein anderes Konzept verwirklichen. Diese etwas museale Zwanziger-Jahre-Art-déco-Geschichte hängt mir inzwischen zum Hals raus. Ich möchte mich mit
lebendiger
, mit
junger
Kunst umgeben. Und ich wäre überglücklich, wenn ich einer Ihrer Zeichnungen dort einen Ehrenplatz geben könnte.«
    Oliver fühlte sich wider Willen geschmeichelt. Er nahm an, daß der Zauberer auf der Suche nach einer Erinnerung an Do (vor allem an ihren Körper) war. Ihm, ihrem Liebhaber, als ihr Ehemann eine Aktstudie zu verkaufen umgab ein Hauch von Perversität. Die Sache war moralisch
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