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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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Liebeslebens genauestens eingeprägt. Er liebte Dos BHs, und mehr noch liebte er deren Inhalt. Er war ihren Brüsten als Mann und als Zeichner hoffnungslos verfallen.
    Als es ihm wieder etwas besser ging, übte Oliver in Gedanken |267| aber auch Kritik an Do. Zur Zeit schwor sie auf Holzsohlenindoorsandalen. Sie trug sie aber nur im Erdgeschoß, weil sie eine strikte Hausschuhtrennung zwischen Parterre und dem ersten Stock mit den Schlafzimmern und dem Familienbad angeordnet hatte. Die Sandalen ließ sie beim Heraufeilen notorisch mitten vor der ersten Treppenstufe von ihren hübschen Füßen rutschen. Dort blieben sie stehen, bis sie wieder herunterkam. Oder bis Oliver (beispielsweise an einem dämmrigen Herbst- oder dunklen Wintermorgen) verschlafen auf Strümpfen heruntertappte, um sich in der Küche einen herrlichen ersten Milchkaffee zuzubereiten. Der Schmerz, wenn er auf die Holzlatschen trat, war jäh und scharfkantig. Die Sache war nun die: Wie konnte man abends mit einer Frau schlafen, die man morgens haßte?
    Das Krankenhaus übte eine reinigende Wirkung auf Olivers Seelenleben aus. Er glaubte klar zu sehen, was ging und was nicht ging. Vielleicht war es unangemessen, gleich von Haß zu sprechen, aber er begriff, daß man sich auf Gefühle nicht verlassen konnte, denn sie hatten einen entscheidenden Nachteil: Sie änderten sich. Es war also ein Fehler, Sex an Gefühle zu binden, weil man eine unkalkulierbare Größe mit ins Spiel brachte. Offensichtlich war Sex zu wichtig im Leben, um sein Gelingen von alltäglichen Kleinigkeiten abhängig zu machen. Eine Geliebte herbeizufabulieren und Do als erotische Konkurrentin zu präsentieren, um sie zu demütigen oder unter Druck zu setzen, war in diesem Zusammenhang besonders erbärmlich. Es war kein Ausweg aus dem hormonellen Dilemma der Liebe, sondern vor allem ein glatter Selbstbetrug. |268| Oliver sah mit bestechender Deutlichkeit, daß es so nicht weitergehen konnte. Während er all das dachte, päppelte man ihn mit isotonischen und mineralienreichen Flüssigkeiten auf, die so klar und stetig in ihn hineintropften wie die Wahrheit: Es mußte sich etwas ändern.
    Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde (Mark holte ihn nach zwei Tagen ab, weil Do zu ihrem Vater geflogen war, um ihm bei seiner Tumoroperation beizustehen), fuhr Oliver an der alten Litfaßsäule vorbei. Er war sich nicht sicher, ob er die Ereignisse nach Dos Geburtstagsparty nicht nur geträumt hatte. Und er hatte es nicht gewagt, Do nach der Zeichnung auf dem vermoosten Beton zu fragen. Sie existierte. Die von ihm im Suff dort hingehauene Do-Lempicka-Aktmelange war rudimentär und bei weitem nicht so genial, wie er sie in Erinnerung hatte. Für ein Graffito war sie aber doch recht kunstvoll. Alles in allem war er mit seiner zeichnerischen Stegreifleistung zufrieden.
    Als Do ihm vor zwölf Jahren zum ersten Mal Modell gestanden (oder eher: gesessen, gelegen) hatte, war sie zu zeichnen und sie zu lieben ein und dasselbe gewesen. Die Kunst: ein Vorspiel. Eine Hommage an ihren Körper mit allen feuchten Pinseln, die ihm zur Verfügung standen. Damals fertigte er in wenigen Monaten Hunderte von Zeichnungen und Aquarellen von ihr an. Am Morgen nach seinem Krankenhausaufenthalt kramte er einen Teil dieser alten Skizzen hervor. Sie schockierten ihn. Sie konfrontierten ihn mit einem lustvollen und leichten Lebensgefühl, das er über die Jahre vergessen hatte. Heute konnte er sich beredt über Anselm Kiefer, Gerhard Richter oder AR |269| Penck streiten und sich im Freundeskreis wort- und kenntnisreich für die eine oder gegen die andere Kunstrichtung in Pose werfen. Aber beim Betrachten seiner eigenen frühen Bilder wurde ihm klar, wie fremd ihm all das längst geworden war. Traurig sah er, daß er einmal beide geliebt hatte: sowohl Do als auch die Kunst. Aber die Glut in ihm war irgendwann erloschen, ohne daß er es bemerkt hatte.
    Vormittags in seinem Geschäft fühlte Oliver sich sehr einsam, und die stummen Brillengestelle deprimierten ihn. Er freute sich, als Do anrief. Sie wohnte bei ihrer Mutter und schlief in ihrem ehemaligen Kinderzimmer. Die Tatsache verstärkte in Oliver das Gefühl der Einsamkeit und des Ausgesetzt-Seins, denn seine Mutter war tot und das Haus, in dem er aufgewachsen war, verkauft und abgerissen. Do sagte, sie würde vielleicht zwei Wochen bleiben, was bedeutete, daß der Familienurlaub storniert werden mußte. Oliver versprach, sich darum zu kümmern. Ruth Weiß, Dos
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