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Schrei in der Nacht

Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht
Autoren: Jack Higgins
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Licht heller und
heller, bis es ihm war, als ob er die ganze Landschaft rechts und links
neben sich ausgebreitet sähe. Er hatte ein Gefühl, als ob er
darüber hinwegfliege und hinabschaue, und dieses Gefühl
konnte nicht normal sein; irgend etwas war nicht in Ordnung mit ihm! Er
schrie auf, stemmte den Fuß gegen die Bremse, und schleudernd kam
der Wagen quer zur Straße zum Stehen.
    Fallon beugte sich gegen das Lenkrad, ließ den Kopf sinken
    und weinte. Das Schluchzen erschütterte seinen ganzen
Körper. Ich will nicht sterben, sagte er sich. Ich darf nicht
sterben. Ich will nach Hause!
      Und plötzlich wurde ihm bewußt, weshalb
dies für ihn so wichtig war. Anne wartete dort. Sie wartete in
seiner Hütte jenseits der Grenze bei Doone. Sie wartete auf ihn,
und er konnte sie nicht allein lassen.
      Es überraschte ihn selbst, als er sich wenig
später wieder durch die Dunkelheit fahren sah. Wieder lagen seine
Hände ruhig auf dem Lenkrad, und ein kleiner Winkel seines Geistes
konzentrierte sich mit aller Macht darauf, die Hände dort
liegenzulassen. Der Wagen kletterte jetzt einen Hügel hinauf, und
unter sich sah Fallon in einer Mulde die Lichter eines kleinen Dorfes.
Er fuhr über die Dorfstraße, die verlassen im Regen lag, und
erblickte plötzlich rechts vor sich eine runde, weiße
Lichtkugel, die durch die Dunkelheit schimmerte.
      Er hielt den Wagen an und kletterte hinaus. Die runde
Lampe brannte am Giebel eines hohen Ziegeltores, an dessen Pfeiler in
schwarzen Buchstaben geschrieben stand: ›Dr. med. Patrick Quinn,
praktischer Arzt‹. Fallon öffnete das Tor und ging auf das
dahinterliegende Haus zu.
      Der Weg erstreckte sich weiter und weiter, und die
Haustür schien vor ihm zurückzuweichen. Plötzlich wurde
ihr Bild ganz undeutlich, und dann legte es sich auf die Seite. Es
dauerte eine ganze Weile, bis er sich klarwurde, daß er mit der
Wange auf dem Erdboden lag. Langsam und schwerfällig kam er wieder
auf die Beine und fiel dann gegen die Tür. Mit der Faust
hämmerte er schwach dagegen. Sie wurde so plötzlich
aufgerissen, daß er nach innen fiel. Starke Arme hoben ihn hoch;
eine zweite Tür öffnete sich, und eine große Halle lag
vor ihm.
    Etwas später fand er sich auf einer
Couch liegend, und um ihn herum war unverständliches
Stimmengewirr. Ein schmales, altes Gesicht, von weißem Haar
überragt, beugte sich über ihn. Das Gesicht war voller
Mitleid und Verständnis.
      Fallon befeuchtete die Lippen mit der Zunge und
krächzte: »Ich habe Blut verloren – viel Blut! Seit
Stunden blute ich. Helfen Sie mir! Ich darf nicht sterben!« Er
versuchte, sich aufzurichten. »Ich darf nicht sterben!«
      Eine Hand drückte ihn behutsam wieder
zurück, und eine ruhige Stimme – sie war alt, und in ihrem
Klang lag die Erfahrung eines langen Lebens – sagte: »Ich
werde dir helfen, mein Sohn. Jetzt reg dich nicht auf und bleib ruhig
liegen!«
      Jemand richtete ihn auf, zog ihm behutsam Mantel und
Jackett aus und legte ihn dann wieder zurück auf die Kissen.
Irgend etwas bewegte sich an seiner Brust entlang, und als er hinabsah,
bemerkte er eine Schere, die ihm Hemd und Verband aufschnitt. Eine
Frauenstimme schrie leicht auf und sagte entsetzt: »Mein
Gott!« Mühsam richtete er sich auf einen Ellenbogen hoch und
erblickte eine junge Frau, die neben der Couch stand und ein Becken
hielt. Die Schere hatte unterdessen ihr Werk vollendet; der Verband
fiel ab. Sofort verbreitete sich ein furchtbarer Geruch, und Fallon
hörte, wie der alte Mann hastig sagte: »Schnell, Binden her!
Es ist keine Zeit zu verlieren!«
    Wieder wurde er aufgerichtet, und er
spürte, wie erneut Binden seinen Körper einschnürten. Er
war bei vollem Bewußtsein und bemerkte alles, was mit ihm
vorging, und doch fühlte er sich wie ein Außenstehender, der
unbeteiligt zuschaute – bei einer Sache, die einem anderen
zustieß, zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort. Der Raum
begann zu schwanken, und die Decke entschwand nach oben. Sorgsam wurde
er zurückgelegt und schloß die Augen. Er würde es
trotzdem überstehen. Er würde zurück zu seiner
Hütte gehen, und Anne würde ihn erwarten. Sie wartete auf
ihn, und nichts durfte ihn mehr daran hindern, zu ihr zu gelangen!
Weshalb lag er also noch hier?
      Der Gedanke kam sehr überraschend, aber traf ihn
zutiefst. Einige Meilen weiter war die Grenze, und er lag untätig
hier. Er schlug die Augenlider wieder auf und sah, daß eine Nadel
in seinem Arm steckte und
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