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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall
Autoren: Andreas Franz
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behandelnden Arzt gebeten, wieder nach Hause zu fahren, man werde sie benachrichtigen, sobald Allegra ansprechbar sei. Doch er wollte ihnen auch keine unnötigen Hoffnungen machen, die Chance, dass sie am Leben bleibe, stehe eins zu hundert. »Beten Sie für Ihre Tochter«, hatte er zum Abschied gesagt, auch wenn es klang, als würde er selbst nicht daran glauben, dass dies helfen könnte.
    Als Liane und Thomas Wrotzeck um drei Uhr morgens nach Hause kamen, trafen sie beinahe zeitgleich mit Kurt Wrotzeck ein, der, nicht mehr ganz nüchtern, fragte, was los sei, und als seine Frau es ihm unter Tränen berichtete, nur lakonisch bemerkte, dies sei eben Schicksal, sie hätte sich halt nicht mit diesem Taugenichts von Köhler einlassen dürfen. Danach war er ins Bett gegangen, nein, er war die Treppe wie immer hinaufgetrampelt und hatte die Tür hinter sich zugeknallt.
    Im Ort waren alle, die von dem Unfall erfuhren, erschüttert, kannte man doch die beiden jungen Leute nur zu gut. Für einige Tage war es nicht nur in dem winzigen Bruchköbeler Ortsteil Butterstadt das Gesprächsthema schlechthin, doch schon bald ging man wieder zur Tagesordnung über, genau genommen nach der Beisetzung von Johannes Köhler, der mehr als zweihundert Personen beiwohnten.
    In den folgenden drei Wochen stabilisierte sich Allegras Zustand zur Verblüffung der behandelnden Ärzte, die Wunden verheilten, die Brüche und die inneren Verletzungen. Aber sie verharrte in ihrer Bewusstlosigkeit, die Augen waren geöffnet und blickten an die Decke in dem Einzelzimmer, nur ab und zu bewegten sich ihre Lider. Über eine Magensonde wurde sie künstlich ernährt, Geräte zeichneten ihre Vitalfunktionen auf. Sie befand sich im Wachkoma, und keiner wusste, ob sie jemals wieder daraus erwachen würde. Aber es gab Menschen, die aus tiefster Überzeugung sagten, dass, wenn sie es bis hier geschafft habe, auch der Tag kommen werde, an dem das bewusste Leben in sie zurückkehre.

Mittwoch, 18. August 2004
    Die Sommerferien neigten sich dem Ende zu, Peter Brandt hatte zusammen mit Andrea Sievers zwei Wochen Urlaub in Italien gemacht, in dem Ort, wo die Wurzeln seiner Mutter lagen und wo sie fast zwanzig Jahre gelebt hatte, bis sie seinen Vater kennenlernte. Sarah und Michelle verbrachten die Sommerferien wieder bei ihrer Mutter in deren Luxusdomizil in Spanien, doch Brandt hatte bereits, wie schon im vergangenen Jahr, für die Winterferien eine dreiwöchige Reise nach Teneriffa gebucht.
    Seit Montag war er wieder im Dienst. Sein Schreibtisch war aufgeräumt, nachdem er es gerade noch vor Reiseantritt geschafft hatte, den riesigen Aktenberg abzuarbeiten. Seine Töchter waren ebenfalls seit dem Wochenende wieder zu Hause, braun gebrannt und mit reichlich Geschenken im Gepäck, die ihre Mutter ihnen mitgegeben hatte, nur hatte er diesmal nicht das Gefühl, dass es sich dabei um Bestechungsgeschenke handelte, sondern seine Ex den Mädchen einfach nur etwas Gutes tun wollte.
    Die Hektik und der Stress im Präsidium, die vor allem im Mai und Juni nach zwei brutalen Morden in Offenbach geherrscht hatten, waren verflogen, und die übliche Sommerruhe war eingekehrt. Bis auf zwei waren alle Beamten wieder im Einsatz, doch außer einer schweren Vergewaltigung und einem bewaffneten Raubüberfall, die sich während Brandts Abwesenheit in Obertshausen ereignet hatten, gab es nichts sonderlich Erwähnenswertes. So war er zusammen mit Nicole Eberl und acht weiteren Kollegenseit Montag wieder damit beschäftigt, eine Gruppe albanischer Männer zu observieren, die im Verdacht standen, Drogenhandel in größerem Stil zu betreiben. Doch bis jetzt gab es keine konkreten Hinweise, die eine Verhaftung gerechtfertigt hätten, was entweder damit zusammenhing, dass die Bande von der Observierung Wind bekommen hatte oder sie sich einfach clever verhielten oder überhaupt nicht in verbrecherische Aktivitäten verwickelt waren. Für Brandt war die ganze Aktion nichts als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme seitens der Staatsanwaltschaft, insbesondere von Elvira Klein, die vor drei Wochen die Order ausgegeben hatte, im Offenbacher Stadtteil Waldhof ein ziemlich runtergekommenes Mehrfamilienhaus rund um die Uhr zu observieren.
    Andrea Sievers war über Nacht bei Brandt geblieben. Sie stand als erste auf, machte sich im Bad zurecht, während die Mädchen noch schliefen. Brandt deckte derweil den Frühstückstisch, kochte Kaffee und wartete, dass auch er ins Bad durfte.
    Während sie aßen,
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