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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall
Autoren: Andreas Franz
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unterhielten sie sich noch einmal über den vergangenen Urlaub, bis Andrea fragte: »Hast du Lust, heute abend mit ins Kino zu gehen?«
    »Was läuft denn?«
    »Wir können doch einfach hinfahren und uns einen Film aussuchen«, sagte sie. »Damit würden wir uns selbst überraschen.«
    »Du und deine spontanen Einfälle. Aber gut, ich bin dabei.« Er trank von seinem noch heißen Kaffee, stellte die Tasse ab und meinte: »Sag mal, ist dir an Sarah irgendwas aufgefallen?«
    »Was meinst du?«, fragte Andrea zurück und schmierte sich eine Scheibe Toast mit Margarine und Ananasmarmelade.
    »Ach komm, das merkt doch ein Blinder mit Krückstock, dass da irgendwas im Busch ist, seit sie bei ihrer Mutter war. Hat sie dir nichts erzählt?«, fragte er mit hochgezogenen Brauen.
    »Du siehst Gespenster«, erwiderte sie, ohne ihn anzusehen.
    »Aha, und wieso weichst du dann meinem Blick aus? Ihr habt doch gestern fast zwei Stunden in ihrem Zimmer verbracht, und dabei habt ihr euch bestimmt nicht über Fußball oder das Wetter in China unterhalten.«
    »Vielleicht verrat ich’s dir, wenn du deine Stimme ein bisschen dämpfst.«
    Er beugte sich nach vorn und sagte im Flüsterton: »Was ist mit Sarah los? Hat sie einen Freund?«
    Andrea druckste einen Moment herum und antwortete: »Nein, oder ja, das heißt, nicht richtig. Sie hat ihn in Spanien kennengelernt und ist natürlich total hin und weg …«
    »Aha, deshalb ist sie also diesmal so gut gelaunt zurückgekommen. Und ich hab mich schon gewundert. Darf ich auch erfahren, wie alt dieser Don Juan ist?«
    »Achtzehn.«
    »Ich glaub, ich spinn, Sarah ist gerade mal fünfzehn! Und diese Typen dort unten warten doch nur auf eine Gelegenheit …«
    »Ich hab gesagt, du sollst leise sein. Vielleicht darf ich dich daran erinnern, was du mir über deine Zeit als Jugendlicher erzählt hast. Du warst doch mit fünfzehn auchbis über beide Ohren verliebt, ohne dass auch nur das Geringste zwischen dir und deiner Angebeteten gelaufen ist. Oder hab ich da was falsch verstanden?«
    »Das war damals eine ganz andere Zeit …«
    »O ja, natürlich, damals war alles anders«, entgegnete Andrea spöttisch. »Das sagen alle, wenn sie von früher sprechen. Hör zu, deine Tochter wird allmählich flügge, und du wirst dich wohl oder übel damit abfinden müssen. Aber tröste dich, sie ist verliebt in einen Jungen, der mehr als zweitausend Kilometer von hier entfernt wohnt. Gib ihr ein paar Tage oder von mir aus auch ein paar Wochen, und sie wird ihn vergessen haben. Aber es wird auch noch andere Jungs in ihrem Leben geben, denn sie wird nicht jünger. Sie wird nicht immer dein kleines Mädchen sein, das du behüten und beschützen kannst oder musst. Sie wird das auch gar nicht wollen. Und auch Michelle wird schon bald in das Alter kommen …«
    »Es reicht, okay. Außerdem muss ich los«, sagte er mit mürrischem Gesicht und stand auf.
    »He, spiel jetzt um Himmels willen nicht die beleidigte Leberwurst. Du wolltest unbedingt wissen, was mit Sarah ist, und ich hab’s dir gesagt. Aber ich kann in Zukunft natürlich auch alles für mich behalten, wenn dir das lieber ist. Und außerdem kannst du froh sein, dass sie mich ins Vertrauen gezogen hat. Tu mir deshalb bitte einen Gefallen und erwähn ihr gegenüber nicht, dass ich mit dir darüber gesprochen habe. Vielleicht erzählt sie’s dir ja von sich aus.«
    »Schon gut, ich werde dann also so tun, als wüsste ich von nichts. O Mann, ich werde wohl tatsächlich älter.«
    »Zum Glück noch nicht so alt, dass ich dich fütternmuss.« Andrea legte ihre Arme um seinen Hals und lächelte ihn an. »Wieder gut?«
    »Hm«, brummte er.
    »Hört sich nicht gerade berauschend an. Und wenn du noch einen kleinen Moment wartest, komm ich gleich mit, ich hab nämlich zwei Obduktionen vor mir. Aber erst räumen wir noch den Tisch ab.«
    Nach fünf Minuten verließen Brandt und Andrea die Wohnung und begaben sich zu ihren Autos. »Ich bin so gegen sechs wieder hier«, sagte sie, bevor sie einstieg. »Es bleibt doch beim Kino, oder?«
    »Klar. Bis nachher«, antwortete er und winkte ihr noch einmal zu.
    Auf der kurzen Fahrt ins Präsidium dachte er unentwegt an Sarah. Natürlich hatte er gewusst, dass die Zeit kommen würde, wo mit einem Mal nicht mehr der Vater die größte Rolle in ihrem Leben spielen würde, und doch war es ein seltsames Gefühl zu wissen, dass das kleine Mädchen, das er noch vor wenigen Jahren auf den Schultern getragen hatte, auf dem besten
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