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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen
Autoren: B Akunin
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Gouverneur und blickte seinen zuverlässigen Beamten gespannt an. »Wenn Sie ›erstens‹ sagen, dann folgt auch ein ›zweitens‹. Reden Sie. Spannen Sie uns nicht auf die Folter.«
    »Es tut mir sehr leid, Wladimir Andrejewitsch, aber Sie müssen den Besuch des Zaren absagen«, sagte Fandorin ziemlich leise, aber diesmal hörte der Fürst sehr gut.
    »Absagen?« ächzte er.
    Die übrigen Anwesenden nahmen die empörende Erklärung des anmaßenden Beamten stürmischer auf.
    »Sie sind ja verrückt!« rief der Oberpolizeimeister Jurowski.
    »Unerhört!« blaffte der Staatsanwalt.
    Der Untersuchungsführer für wichtige Fälle erlaubte sich keine Äußerung, dazu war sein Rang zu gering, aber er preßte die dicken Lippen zusammen, um so seine Empörung über Fandorins aberwitzige Auslassung zu zeigen.
    »Absagen?« wiederholte der Fürst mit erloschener Stimme.
    Die Tür zu den inneren Gemächern öffnete sich einen Spalt, in dem sich das Gesicht des Kammerdieners zeigte.
    Der Gouverneur erhob in äußerster Erregung die Stimme und verschluckte ganze Wörter: »Petrowitsch, nicht das erste Jahr … Sie kein leeres Stroh … Aber allerhöchsten absagen! Unerhörter Skandal! Sie wissen doch, wie ich mich bemüht … für mich, für uns alle …«
    Fandorin runzelte die hohe Stirn. Er wußte sehr gut, wie lange und intrigenreich der Gouverneur diesen allerhöchsten Besuch angestrebt hatte. Und was für Ränke die gegnerische Petersburger Kamarilla geschmiedet hatte, die schon seit zwanzig Jahren den alten Fuchs von dem beneidenswerten Posten zu verdrängen suchte. Der österliche Besuch Seiner Majestät war für den Fürsten ein Triumph, ein sicheres Indiz für die Unerschütterlichkeit seiner Position. In der nächsten Woche stand ihm ein großer Festtag bevor – das sechzigjährige Offiziersjubiläum. Aus diesem Anlaß konnte er auf den Andreas-Orden hoffen. Und nun sollte er selber den Besuch absagen!
    »Ich v-verstehe alles, Euer Erlaucht, aber nicht absagen wäre noch schlimmer. Diese Untat wird nicht die letzte sein.« Das Gesicht des Kollegienrats wurde mit jedem Wort finsterer. »Ich fürchte, daß Jack the Ripper nach Moskau gekommen ist.«
    Wieder löste Fandorins Erklärung bei den Anwesenden einhelligen Unmut aus.
    »Nicht die letzte?« entrüstete sich der Generalgouverneur.
    Der Oberpolizeimeister und der Staatsanwalt riefen im Chor: »Jack the Ripper?«
    Und Ishizyn erkühnte sich nun doch und fauchte: »Blödsinn!«
    »Was denn für ein Ripper?« knarrte von seiner Tür her Frol Wedistschew, als eine Pause eingetreten war.
    »Ja, ja, was für ein Jack?« Der Gouverneur fixierte seine Untergebenen mit sichtlicher Unzufriedenheit. »Alle wissen davon, bloß ich bin nicht eingeweiht. Immer ist es dasselbe!«
    »Euer Erlaucht, das ist ein berüchtigter englischer Mörder, der in London Straßenmädchen abschlachtet«, erklärte der Untersuchungsführer.
    »Wenn Sie erlauben, Wladimir Andrejewitsch, erzähle ich a-ausführlicher.«
    Fandorin zog einen Notizblock aus der Tasche und blätterte einige Seiten durch.
    Der Fürst legte die Hand um die Ohrmuschel, Wedistschew setzte eine Brille mit starken Gläsern auf, Ishizyn lächelte ironisch.
    »Wie sich Euer Erlaucht vielleicht erinnern, habe ich im vergangenen Jahr einige Monate in England verbracht, als ich in dem Ihnen bekannten F-Fall der verschwundenen Korrespondenz Katharinas der Großen ermittelte. Sie äußerten noch Ihr Mißfallen über meine lange Abwesenheit. Ich hielt mich über das Notwendige hinaus in London auf, weil ich aufmerksam die Fahndungsmethoden der Polizei zur Ergreifung eines Verbrechers verfolgte, der im Verlauf von acht Monaten, von April bis Dezember vorigen Jahres, in EastEnd acht bestialische Morde verübte. Der Mörder benahm sich äußerst dreist. Er schrieb der Polizei B-Briefchen, in denen er sich Jack the Ripper nannte, und einmal schickte er dem mit dem Fall betrauten Kommissar eine halbe Niere, die er einem seiner Opfer herausgeschnitten hatte.«
    »Herausgeschnitten? Aber warum?« wunderte sich der Fürst.
    »Es ist nicht die Tatsache der Morde, was die Menschen an den Untaten des Rippers so e-erschüttert hat. In einer Großstadt wie London, in der nicht alles zum besten bestellt ist, gibt es genug Verbrechen, auch Bluttaten. Doch die Art und Weise, wie der Ripper seine Opfer tötete, war in der Tat monströs. Gewöhnlich schnitt er den armen Frauen die Kehle durch, dann weidete er sie aus wie Rebhühner und ordnete die
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