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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen
Autoren: B Akunin
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den schmachvollen Anfall von Übelkeit, der ihn kürzlich übermannt hatte. Nach einem kurzen inneren Kampf gab er seiner Schwäche nach: »Ich werde meinen Assistenten Tulpow zur Unterstützung schicken. Das wird wohl reichen.«
     
    Abends in der neunten Stunde, schon beim Schein von Fackeln, näherte sich die schwere Arbeit dem Ende.
    Zu guter Letzt kam vom tintendunklen Himmel auch noch kalter Nieselregen. Die Friedhofslandschaft, ohnehin schon trist, wurde so trostlos, daß man sich wünschte, kopfüber in eins der geöffneten Gräber zu fallen und mit Erde zugeschüttet zu werden, nur um nicht mehr die schmutzigen Pfützen, die aufgeweichten Grabhügel und die schiefen Kreuze zu sehen.
    Ishizyn traf die Anordnungen. Sechs Mann gruben: um den Kreis der Eingeweihten nicht zu erweitern, die beiden Polizisten, die schon bei der Tatortbesichtigung dabei waren, außerdem zwei altgediente Gendarmen und zwei Totengräber des Friedhofs, ohne die man sowieso nicht auskam. Solange die Erde schlammig war, arbeiteten sie mit der Schaufel, doch als das Eisen dann auf gefrorenen Boden stieß, griffen sie zur Spitzhacke. Wo gegraben werden mußte, zeigte ihnen der Friedhofswärter.
    Laut Liste waren seit Januar des laufenden Jahres 1889 in das Leichenschauhaus der Polizei 14 Frauen gebracht worden, deren »Tod durch Stich- oder Schneidewerkzeuge« herbeigeführt worden war. Jetzt wurden die Toten aus den armseligen Gräbern gezerrt und wieder ins Leichenschauhaus geschafft, wo Dr. Sacharow und sein Assistent Grumow, ein schwindsüchtig aussehender junger Mann mit einem wie angeklebten Ziegenbärtchen und einer dazu passenden dünnen, meckernden Stimme, die Obduktion vornahmen.
    Anissi Tulpow hatte einen Blick in den Sezierraum geworfen und beschlossen, es nicht wieder zu tun, sondern lieber draußen bei Wind und Aprilregen auszuharren. Aber nach ein, zwei Stunden, durchfroren und durchnäßt und auch ein wenig abgestumpft, ging er doch wieder hinein und setzte sich in der Ecke auf eine Bank. Dort fand ihn der Wärter Pachomenko,der sich seiner erbarmte, ihn mit zu sich nahm und ihm Tee anbot.
    Ein feiner Kerl war dieser Wärter. Er hatte ein glatt rasiertes, gütiges Gesicht, von den klaren kindlichen Augen liefen Lachfältchen zu den Schläfen. In seine schöne und volkstümliche Rede flocht er häufig kleinrussische Wörter.
    »Wer auf dem Friedhof arbeitet, muß Schwielen auf dem Herzen haben«, sagte er leise und blickte mitfühlend auf den hohläugigen Tulpow. »Schwer legt sich’s dem Menschen auf die Seele, wenn er alle Tage so das Ende vor Augen hat: Siehe, Knecht Gottes, auch du wirst so faulen. Allein der Herr ist gnadenreich, er gibt dem Gräber Schwielen auf die Handflächen, damit sich das Fleisch nicht bis auf den Knochen abschürfen tut, und wem menschliche Nöte zusetzen, dem läßt er Schwielen auf dem Herzen wachsen. Damit sich’s nicht wundscheuert. Auch du, Jungchen, wirst dich gewöhnen. Du bist ja ganz grün im Gesicht, Kleiner. Trink erstemal Tee und iß eine Semmel. Wirst dich so bei kleinem gewöhnen. Iß nur, iß …«
    Anissi saß bei Pachomenko, der in seinem Leben viel herumgekommen war und viel gesehen hatte, und lauschte dessen bedächtiger Erzählung – über Wallfahrten an heilige Orte, über gute und böse Menschen, und seine Seele schien aufzutauen und sein Wille zu erstarken. Nun konnte er zurück zu den schwarzen Gruben, den Brettersärgen, den grauen Leichenhemden.
    Der gesprächige Wärter, der hausgemachte Philosoph, brachte Anissi auf eine Idee, die seinen nutzlosen Aufenthalt auf dem Friedhof vollauf wettmachte.
    Und das kam so.
    Am Abend, gegen sieben, wurde die letzte von vierzehnLeichen in den Seziersaal geschleppt. Der forsche Ishizyn, der vorsorglich Jägerstiefel und einen gummierten Umhang mit Kapuze angezogen hatte, rief den durchnäßten Anissi in den Seziersaal und forderte ihn auf, die Ergebnisse der Exhumierung zu bestätigen.
    Anissi biß die Zähne zusammen, versuchte sein Herz mit Schwielen zu schützen und ging von Tisch zu Tisch, sah auf die unschönen Leichen und lauschte dem Resümee des Arztes.
    »Diese drei Schönen können zurück: Nummer zwei, acht und zehn«, sagte Sacharow und zeigte lässig mit dem Finger. »Die gehen mich nichts an. Ich seziere nur die, die überprüft werden müssen, in den anderen stochert Grumow. Der Halunke läßt sich dauernd vollaufen, und wenn er blau ist, schreibt er sonstwas zusammen.«
    »Was reden Sie da, Jegor Williamowitsch«,
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