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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen
Autoren: B Akunin
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meckerte der ziegenbärtige Assistent gekränkt. »Wenn ich auch alkoholische Getränke zu mir nehme, so doch nur in ganz geringem Maße, zur Stärkung der Gesundheit und meiner zerrütteten Nerven. Das ist wirklich nicht recht von Ihnen.«
    »Ach was«, sagte der grobschlächtige Doktor und setzte seinen Bericht fort. »Nummer eins, drei sieben, zwölf und dreizehn fallen auch nicht in Ihr Gebiet. Der klassische Fall: ›Messer in die Rippen‹ oder ›Klinge in den Hals‹. Saubere Arbeit, keine Verstümmelungen. Die können zurück.« Sacharow stieß eine kräftige Tabakwolke aus und klopfte einer greulichen blauen Leiche freundschaftlich auf den aufgeschlitzten Bauch. »Die schöne Wassilissa hier und noch vier behalte ich da. Ich muß überprüfen, ob sauber geschnitten wurde, ob das Messer scharf war und so weiter. Auf den ersten Blick riskiere ich die Vermutung, daß Nummer vier undvierzehn die Handschrift unseres Bekannten tragen. Es ist aber zu sehen, daß er in Eile war oder von jemandem erschreckt und daran gehindert wurde, die geliebte Sache richtig zu vollenden.«
    Der Doktor grinste, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen.
    Anissi verglich mit der Liste. Stimmte alles: Nummer vier war die Bettlerin Marja Kossaja von der Kleinen Trjochswjatski-Gasse, Nummer vierzehn die Prostituierte Sotowa von der Swinjin-Gasse. Das waren die beiden Frauen, von denen der Oberpolizeimeister gesprochen hatte.
    Ishizyn, ein unerschrockener Mann, gab sich mit den Worten des Experten nicht zufrieden und überprüfte alles. Er steckte die Nase beinahe in die klaffenden Wunden, stellte pingelige Fragen. Anissi beneidete ihn um seine Selbstbeherrschung, schämte sich seiner Überflüssigkeit, fand aber keine Beschäftigung für sich.
    Er ging an die frische Luft, wo die Männer rauchten.
    »Na, Jungchen, haben wir umsonst gegraben?« fragte Pachomenko. »Müssen wir weitermachen?«
    »Wo denn noch?« antwortete Anissi. »Wir haben doch alle ausgegraben. Seltsam. Bloß ein Dutzend Prostituierte, die in ganz Moskau innerhalb von drei Monaten umgebracht wurden. Dabei steht in den Zeitungen, wie gefährlich die Stadt ist.«
    »Von wegen ein Dutzend«, schnaubte der Wärter. »Hier sind doch nur die, die einen Namen haben. Die ohne Namen legen wir in die Gräben.«
    Anissi schreckte auf: »Was denn für Gräben?«
    »Na so was, hat das denn der Herr Dochtur nicht gesagt?« wunderte sich Pachomenko. »Komm und schau selber.«
    Er führte Anissi ans andere Ende des Friedhofs und zeigte auf eine lange Grube, die nur flüchtig mit Erde bedeckt war.
    »Der Graben hier ist von April, der hat ja mal grade erst angefangen. Der da ist von März, schon zugeschüttet.« Er zeigte auf einen länglichen Hügel. »Dort vom Februar, und da vom Januar. Davor weiß ich nicht, dieweil ich da noch nicht hier gearbeitet hab. Ich bin hier seit dem Dreikönigsfest, wie ich von der Wallfahrt aus Optina Pustyn gekommen bin. Vor mir hat sich der Kusma dahier abgeplackt. Den hab ich nicht mehr zu sehen bekommen. An Weihnachten, nach den Fasten, da hat er ein paar Gläser zu viel gekippt, ist in ein offenes Grab gefallen und hat sich das Genick gebrochen. Solch einen Tod hat der Herr ihm zugedacht. Der Knecht Gottes hat die Gräber bewacht, und ein Grab hat ihm den Tod gebracht. Der Herrgott treibt so seine Späße mit uns Friedhofsleut. Wir sind so was wie seine Hausmeister. Zum Beispiel unser Totengräber Tischka …«
    »Liegen in den Gräben viele Namenlose?« unterbrach Anissi den Redseligen und hatte schlagartig die feuchten Stiefel und die Kälte vergessen.
    »Reichlich. Allein im letzten Monat ist ein Dutzend zusammengekommen, vielleicht auch mehr. Ein Mensch ohne Namen ist wie ein Hund ohne Halsband. Den kannst du gleich auf den Schindanger bringen. Wer keinen Namen mehr hat, der ist schon fast kein Mensch mehr.«
    »Waren unter den Namenlosen stark Verstümmelte?«
    Der Wärter verzog traurig das weichherzige Gesicht.
    »Wer tut sich die Ärmsten schon genauer ankucken? Gut noch, wenn der Küster von der Ioann-Woin-Kirche ein Gebet spricht; es kommt auch vor, daß ich Sünder das ›Ewige Gedenken‹ singe. Ach, ihr Menschenkinder …«
    Sieh an, der Untersuchungsführer für wichtige Fälle, dieser pingelige Mensch, dachte Anissi schadenfroh, das hat er übersehen.
    Er machte dem Wärter ein Zeichen: Entschuldige, Alter, ich habe zu tun. Und lief im Galopp zum Friedhofsbüro.
    »He, Männer«, rief er schon von weitem, »es gibt noch Arbeit! Nehmt
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