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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen
Autoren: B Akunin
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die geschändete, schmutzige Hülle ihres Körpers, die
Seele meiner lieben Schwester schwingt sich empor, und ich ersterbe in Andacht vor der Vollkommenheit des göttlichen Mechanismus.
    Als ich mit einem innigen Lächeln ihr heißes Herz zu meinem Gesicht hochhebe, zuckt und zappelt es noch wie ein gefangener Fisch, und ich küsse das wunderbare Fischlein zärtlich auf die geöffneten Lippen der Aorta.
    Der Ort ist gut gewählt, niemand stört mich, und dieses Mal wird die Hymne auf die Schönheit bis zum Ende gesungen und mit einem Kuß auf die Wange vollendet. Schlafe, meine Schwester, dein Leben war widerlich und scheußlich, dein Anblick hat das Auge beleidigt, aber dank meiner bist du schön geworden.
     
    Nehmen wir wieder die Blume. Ihre wahre Schönheit ist nicht auf der Wiese und nicht auf dem Beet zu sehen, o nein! Die Rose wirkt königlich im Mieder, die Nelke im Knopfloch, das Veilchen im Haar einer schönen Frau. Der Triumph einer Blume bricht an, wenn sie schon geschnitten ist, ihr wahres Leben ist vom Tod nicht zu trennen. So ist es auch mit dem menschlichen Körper. Solange er lebt, kann er sich nicht in der ganzen Großartigkeit seines wunderschönen Baus zeigen. Ich helfe dem Körper zu triumphieren. Ich bin ein Gärtner.
    Doch nein, ein Gärtner schneidet nur die Blumen ab, ich aber schaffe aus Körperorganen ein Wandgemälde von berauschender Schönheit, eine erhabene Dekoration. In England kommt ein neuer Beruf in Mode – decorator, ein Spezialist für die Verschönerung des Hauses, des Schaufensters, der festlichen Straße.
    Ich bin kein Gärtner, ich bin ein Dekorateur.

Je weiter, desto schlimmer
    4. April, Kardienstag, Mittag
    An der außerordentlichen Sitzung beim Moskauer Generalgouverneur Fürst Wladimir Dolgorukoi nahmen teil:
    der Oberpolizeimeister, Generalmajor der Suite Seiner Kaiserlichen Hoheit Jurowski;
    der Staatsanwalt der Moskauer Strafkammer, wirklicher Staatsrat und Kammerherr Kosljatnikow;
    der Leiter der Moskauer Kriminalpolizei, Staatsrat Ejchman;
    der Beamte für Sonderaufträge beim Generalgouverneur, Kollegienrat Fandorin;
    der Untersuchungsführer für wichtige Fälle beim Staatsanwalt der Moskauer Strafkammer, Hofrat Ishizyn.
    »Ein Wetter ist das, ein Wetter, einfach ekelhaft.« Mit diesen Worten eröffnete der Generalgouverneur die geheime Sitzung. »Das ist doch eine Schweinerei, meine Herren. Trüber Himmel, Wind, Nässe, Dreck, und das Schlimmste, die Moskwa führt mehr Hochwasser als sonst. Ich bin nach Samoskworetschje gefahren – ein Alptraum. Das Wasser ist auf fast siebeneinhalb Meter gestiegen! Bis zur Pjatnizkaja ist alles überschwemmt. Und auch am linken Ufer geht es drunter und drüber. Man kann nicht über den Neglinny-Projesd fahren. Wir werden uns blamieren, meine Herren. Auf seine alten Tage muß Dolgorukoi noch solch eine Schande erleben!«
    Alle Anwesenden seufzten bekümmert, nur auf dem Gesicht des Untersuchungsführers für wichtige Fälle malte sich Befremden, und der Fürst, der sich durch außerordentliche Beobachtungsgabe auszeichnete, hielt es für angebracht zu erklären: »Ich sehe, junger Mann … wie war doch gleich … Glagolew? Nein, Bukin.«
    »Ishizyn, Hohe Exzellenz«, soufflierte ihm der Staatsanwalt, aber nicht laut genug, denn in seinem neunundsiebzigsten Lebensjahr war der Moskauer Vizekönig (wie der Generalgouverneur auch genannt wurde) schon recht harthörig.
    »Verzeihen Sie einem alten Mann.« Der Gouverneur breitete gutmütig die Arme aus. »Also, Herr Pyshizyn, ich sehe, Sie sind nicht auf dem laufenden … Sicherlich fällt es nicht in Ihr Ressort. Aber da wir nun hier zusammensitzen … Also«, Dolgorukois längliches Gesicht mit dem herabhängenden kastanienbraunen Schnurrbart nahm einen feierlichen Ausdruck an, »zum lichten Osterfest wird Seine Majestät unsere Residenz mit einem Besuch beehren. Kein Pomp, keine Zeremonien, man will sich vor den Moskauer Heiligenbildern verneigen. Es wurde angeordnet, die Moskauer Bevölkerung im voraus nicht in Kenntnis zu setzen, denn die Visite soll impromptu sein. Was uns natürlich nicht der Verantwortung für das Niveau der Begegnung und den allgemeinen Zustand der Stadt enthebt. Da erhalte ich zum Beispiel heute morgen, meine Herren, ein Schreiben von Seiner Eminenz Ioanniki, dem Moskauer Metropoliten. Er führt Klage darüber, daß vor dem heiligen Osterfest in den Konditoreien Unerhörtes zu sehen ist: In den Schaufenstern und auf den Verkaufstischen stapeln sich
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