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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen
Autoren: B Akunin
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hinten Fandorins leise Stimme. Alle drehten sich um.
    Wann war der Kollegienrat hereingekommen? Die Tür hatte überhaupt nicht gequietscht. Selbst im Halbdunkel war zu sehen, wie blaß und verstört er war, doch seine Stimme war ruhig, seine Redeweise unverändert – zurückhaltend, höflich, aber so, daß keiner Lust verspürte zu widersprechen.
    »Herr Ishizyn, selbst der Hausmeister hat begriffen, daß es sich v-verbietet, über das Vorgefallene zu sprechen«, sagte er streng. »Ich habe den Auftrag, für strikte Geheimhaltung zu sorgen. Keinerlei Befragungen. Darüber hinaus bitte, ja, verpflichte ich alle Anwesenden, über die Umstände des Falles Stillschweigen zu wahren. Den Anwohnern ist zu erklären, daß … eine Straßendirne sich e-erhängt, Hand an sich gelegt hat, das Übliche. Sollten Gerüchte über den Vorfall in Moskau umgehen, wird jeder von Ihnen überprüft, und werdie Schweigepflicht verletzt hat, wird streng bestraft. Entschuldigung, meine Herren, aber diese I-Instruktionen habe ich erhalten, und dafür gibt es gute Gründe.«
    Die Polizisten wollten auf ein Zeichen des Arztes die an der Wand lehnende Bahre ergreifen, um die Tote darauf zu legen, aber der Kollegienrat hob die Hand.
    »W-Warten Sie.«
    Er beugte sich über die Tote.
    »Was hat sie da auf der Wange?«
    Ishizyn zuckte pikiert mit den schmalen Schultern.
    »Einen Blutfleck. Wie Sie sehen, gibt es hier Blut im Überfluß.«
    »Aber nicht im Gesicht.«
    Fandorin wischte den ovalen Fleck vorsichtig mit dem Finger ab – auf dem weißen Glacéleder des Handschuhs blieb eine Spur zurück. In äußerster Erregung, wie es Anissi schien, murmelte der Kollegienrat: »Kein Schnitt, kein Biß.«
    Der Untersuchungsführer beobachtete die Handlungen des Beamten mit Befremden, der Arzt mit Interesse.
    Fandorin holte eine Lupe aus der Jackentasche, hielt sie an das Gesicht des Opfers, schaute hindurch und seufzte.
    »Der Abdruck von Lippen! Mein Gott, das ist die Spur eines Kusses! Daran gibt es keinen Zweifel!«
    »Was echauffieren Sie sich so?« giftete Ishizyn. »Als ob’s hier keine schlimmeren Zeichen gäbe.« Er wies mit der Stiefelspitze auf den geöffneten Brustkasten und die gähnende Bauchhöhle. »So ein Halbirrer verfällt auf die absurdesten Ideen.«
    »Ach, wie scheußlich«, murmelte der Kollegienrat, an niemanden gewandt.
    Mit einer raschen Bewegung riß er sich den beschmutztenHandschuh herunter und warf ihn weg. Dann richtete er sich auf, schloß die Augen und sagte ganz leise: »Mein Gott, geht das jetzt etwa in Moskau los …«
     
    What a piece of work is man! how noble in reason! how infinite in faculty! In form and moving how express and admirable! in action how like an angel! in apprehension how like a god! the beauty of the world! the paragon of animals! And yet, to me, what is this quintessence of dust! 1 Sei’s drum! Mag der Prinz von Dänemark, ein müßiges und blasiertes Wesen, nichts mit dem Menschen im Sinn gehabt haben, ich ja! Der Barde hat zur Hälfte recht: Im Handeln der Menschen ist wenig Engelhaftes, und es ist lästerlich, das menschliche Begreifen mit dem Gottes zu vergleichen, aber etwas Schöneres als den Menschen gibt es nicht auf Erden. Was aber das Handeln und Begreifen angeht – so ist das eine Schimäre, Eitelkeit, Betrug, wirklich die Quintessenz von Staube. Der Mensch, er ist nicht Handeln, er ist Körper. Selbst die Pflanzen, die dem Auge schmeicheln, die üppigsten und wundersamsten Blumen sind nicht zu vergleichen mit dem grandiosen Bau des menschlichen Körpers. Blumen sind primitiv und simpel, innen gleichermaßen wie außen: Wie du ein Blütenblatt auch drehst, es ist langweilig anzuschauen. Was sind ihre gierigen Stengel, die armselig-geometrischen Blütenstände, die jämmerlichen Staubfäden gegen den Purpur straffer Muskeln, die Elastizität seidiger Haut, das silbrige Perlmutt des
Magens, die graziösen Windungen des Darms und die geheimnisvolle Asymmetrie der Leber!
    Läßt sich denn die eintönige Färbung blühenden Mohns vergleichen mit den vielfältigen Nuancen des menschlichen Blutes – vom tiefen Scharlachrot des Arterienstroms bis zum königlichen venösen Purpur? Was ist das vulgäre Blau der Glockenblume gegen die zarte hellblaue Zeichnung der Kapillaren oder die herbstliche Färbung des Ahorns gegen das flammende Rot des monatlichen Flusses? Der weibliche Körper ist viel raffinierter und hundertmal interessanter als der männliche. Die Funktion des weiblichen Körpers
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