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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition)
Autoren: Philipp Reinartz
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    Erste Sahne
    Mit einem Satz bin ich drin. Es gibt so triste Arbeitsplätze. Graue Wände ohne Bilder. Risse in der Tapete. Miesepetrige Sekretärinnen. Bullige Sicherheitsposten, die ihren Arbeitsbeginn lieber neun Stunden vorher anderenorts gehabt hätten und dem Krawattenspacko so gerne einmal «Du kommst hier nicht rein» oder dem Praktikanten «Heute ab 21» sagen würden.
    Aber es geht noch schlimmer. Ich glaube nicht, dass der FDP-Chef seinen Mitarbeitern in der Berliner Zentrale auf einem Plakat mit einem frechen «Mehr Netto vom Brutto» entgegengrinst. Es reicht doch, wenn man die Leute da draußen verarscht. Es müssen doch nicht auch noch die eigenen dran glauben. Aber wenn die weiße Chipkarte die gläsernen Schiebetüren meines Arbeitgebers zum Öffnen bewegt, strahlt mich der Messias des Musikproletariats an: Dieter Bohlen. Nein, er strahlt mich nicht nur an – er bedroht mich. Und das auf drei mal vier Metern. Er hält provozierend eine Torte in der linken Hand, mit der rechten zeigt er genau auf mich. «25 Jahre erste Sahne – so feiern nur wir!» Der private Fernsehsender scheint seinen Mitarbeitern jeden Morgen auch die letzte kleine Freude, «Wenigstens darf ich hier mit Dieter Bohlen zusammen Deutschland mit Torten bewerfen», nehmen zu wollen. Du bist Deutschland. Denn er wirft sie auf uns alle, jeden Einzelnen, der durch diese Tür kommt. Auf jede Abrechnungsuschi, auf jeden Alko genannten Ablaufkoordinator, auf jede Moderatorentrulla. Und auf mich. Max Plättgen.

    Wieso genau ich mich jeden Tag durch diese Glastüren schiebe – ich weiß es nicht.
    «Morgen», raune ich dem türkischstämmigen Bären mit Secureo-Aufschrift auf der dunkelblauen Jacke im Vorbeigehen zu. Statt einer Erwiderung bekomme ich eine durchwinkende Handbewegung zwischen Verkehrspolizist und «Dieses Mal lasse ich dich noch rein, nächstes Mal nur mit Begleitung». Die Kombination mit demonstrativem Wegschauen spricht für Gedankengang zwei. Ich nenne es Türsteherblick, dieses fast schon lyrisch-sehnsüchtige Durch-die-Menschen-hindurch-in-die-Ferne-Blicken, perfektioniert von Otto von Bismarck, Barkeepern und Bahnschalterbeamten. Diese Mischung aus «Ich habe Visionen», «Ich schaffe auch komplizierte Handgriffe, ohne hinzuschauen» und «Ich schaue dich erst wieder an, wenn du endlich deine Bahncard aus dem Portemonnaie gefriemelt hast», die letztlich doch nur eines signalisieren soll: Ich bin hier der Chef, und du bist mir scheißegal. Zack, Torte im Gesicht. Danke, Dieter.
    Als wäre mein Empfang in Deutschlands Kultur-Kindergarten nicht schon albern genug, hat nun anscheinend auch noch die Bienengruppe Pause. Ein Schwarm giggelnder Promimagazin-Schicksen stöckelt Richtung Kantine. Sie sind ähnlich aufgemotzt wie Ralf Richters Mercedes 500 SEC bei der Tuning World Bodensee, ein Vergleich, den ich dem Riesenfernseher im Gang verdanke, der das hauseigene Programm zeigt.
    Sie sehen allesamt so aus, als würden sie gleich vor der Kamera stehen und «Guten Abend, mein Name ist Nazan Eckes, und das sind unsere Themen» sagen. Aber das sagt nun mal nur Nazan Eckes. Noch. Denn ich habe die Taktik der Nachwuchsbienen durchschaut: Es ist eine Präventivstrategie. Eines traurigen Tages könnte es ja passieren, dass Bienenkönigin Nazan krank wird, im Stau steht oder von einem versehentlich in ihre Richtung geworfenen Stöckelschuh unglücklich am Kopf getroffen wird, vielleicht nur eine Viertelstunde vor Sendungsbeginn. Und wenn dann ein nervöser Alko durch die Redaktion blickt und verzweifelt überlegt, wer Deutschland jetzt gleich den ersten Magazin-Beitrag «Mit Mistgabel und Landluft: Großstadt-Mamis specken ab» präsentieren soll – wer möchte dann nicht schreien können: Lassen Sie mich durch, ich bin Biene!

    Wie immer hat die Konferenz schon begonnen, als ich die Redaktion im dritten Stock betrete. Am Eingang prangt ein Totenkopf, der so armselig aussieht, als sei er aus dem Word-ClipArt-Fundus. Normalerweise kennzeichnet der Schädel Giftmüll oder Grufties, in diesem Fall die Nachrichtenredaktion des kleinen Schwestersenders. Vielleicht weil die Newspiraten die mit Kulturgütern reich beladenen Schiffe der Nachrichtenwelt entern, die Ladung aber fast unberührt zurücklassen und mit Rum und Frauen nach Hause segeln?
    «Max?»
    «Äh … ja.»
    «Die Konferenz beginnt um zehn Uhr. Auch für Volontäre.»
    Man sagt homosexuellen Menschen ja oft eine emotionale Sanftheit, ein
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