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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition)
Autoren: Philipp Reinartz
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drücke auf den kleinen blauen Blinkfrosch und höre, wie es innen quakt. Eine Werbeagentur ist nur dann eine Werbeagentur, wenn sie anders ist. Die Räume haben schiefe Wände, in der Kaffeeküche steht ein Spielautomat aus den sechziger Jahren, und statt Kuchen bekommen Gäste Gummibärchen in Einweckgläsern. Bei blaufrosch – jumping communication geht der Zirkus eben schon mit der Klingel los: Quak. Oberstes Gebot beim Betreten einer Werbeagentur ist, dass der Besucher unter keinen Umständen auch nur eine Zehntelsekunde glauben darf, er würde ein gewöhnliches Büro betreten. Kreative Extras wie meterhohe Bambushalme oder schrill schraffierte Metalleffekttapeten fungieren als subtile Warnsymbole: Zutritt für Normale verboten! Bei blaufrosch ist es umgekehrt, und ein subtiler Warnhinweis fungiert als kreatives Extra: Vorsicht! Zündende Ideen! Brandgefahr! steht auf einem täuschend echt aussehenden Schild neben dem Eingang. Krampfhaft versuchen meine Synapsen jedes Mal, den Zusammenhang zur Frosch-Metapher zu finden, doch sie landen immer im Langzeitspeicher «unnötige Youtube-Clips, die man trotzdem nicht vergisst», in dem mein Gedächtnis auch ein «Burning Frog»-Video abgelegt hat, in dem ein Zehnjähriger mit diabolischer Freude Frösche anzündet. Ich glaube, ich sollte meine Festplatte mal formatieren.
    Auf dem Weg zur Anmeldung komme ich an verglasten Büroinseln vorbei, auf denen Riesenlettern in verschiedenen Blautönen verraten, ob im jeweiligen Gewächshaus Creation oder Grafik angepflanzt wurde. Auf den wenigen Bildschirmen, die Freitagabend um kurz vor sieben noch an sind, wird größtenteils auf Facebook gesurft. Vermutlich ist das eine Corporate-Design-Anweisung, wegen der Blautöne.
    Glatzen-Yul steht schon nervös am Empfang und spielt an seiner schwarzen Brille. Ich glaube ja, dass ihm einer seiner Graphiker wegen des Mangels an Haaren mehr Kontrast empfahl und er deshalb auf die Idee mit der überdicken Sehhilfe kam, quasi zur manuellen Farbkorrektur. Würde zumindest passen, denn mit seinem Namen mogelt er auch. Eigentlich heißt er Moritz, nennt sich offiziell jedoch Maurice, was ich so lächerlich finde, dass ich ihn Glatzen-Yul nenne, weil er mich an Yul Brynner von den Glorreichen Sieben erinnert. Sein lilafarbenes Hemd beißt sich zwar mit keinem anderen seiner Kleidungsstücke, dafür fühle ich mich aber von dessen aggressiver Farbintensität angegriffen.
    «Sorry Yul, ich bin heute nicht früher aus der Redaktion gekommen, musste noch zwei, drei Interviews wegen EU-Gipfel …»
    «Ja, komm, Max, mach hinne, Marty ist schon auf 180, weil der Brasilianer den Namen abgelehnt hat. Und ich heiße Maurice.»
    «Oh, warum das denn?»
    «Bitte?»
    «Ich mein den Brasilianer.»
    «Könnten wir vielleicht erst ins Meeting gehen?»
    Könntest du vielleicht erst die Sättigung deiner Oberbekleidung runterdrehen?

    Vier Gewächshäuser später sitzen wir in der einzigen nichtverglasten Brutstätte der Froschfarm: Martys Büro. Sie ist wie immer wesentlich biederer angezogen als lila Glatzen-Yul. «Ich muss mir ja auch keine bunten Kampagnen überlegen, sondern schwarze Zahlen schreiben», hatte sie irgendwann mal gekalauert. Seither werde ich die Idee nicht los, dass Führungskräfte als Zeichen absoluter Transparenz ihre Krawattenfarbe auf die aktuellen Quartalsergebnisse abstimmen könnten.
    Glatzen-Yul hatte recht. Marty sieht in der Tat so aus, als sei sie auf 180 oder gar 270. Vielleicht schaffe ich es ja mit ein paar gezielten Sticheleien, noch 90 Grad rauszuholen, um sie wieder auf Kurs zu bringen.
    «Quak.»
    «Max! Lass bitte deine Sprüche heute sein. Du bist eine Stunde zu spät, wir haben zwei Briefings, also lass uns das bitte schnell durchziehen.» Dass sie ständig dieses überbetonte «Bitte» in ihre Sätze einbauen muss!
    «Ja, ich dacht nur wegen bluefrog , äh blaufrosch .»
    Marty stöhnt mir einen müde-gestressten Blick zu.
    «Hör mir bitte mit diesem ganzen Froschquatsch auf.»
    Ich lächele sie mit der Gewissheit an, dass sie bei 360 Grad angekommen ist. Ihr wunder Punkt. Was würde sie dafür geben, wenn sie damals beim Abschlussball ihres Markenkommunikation-Studiums nicht die Schnapsidee mit dem Frosch gehabt hätte. «Tiere sind immer gut, da kann man gleich eine Markenwelt drum herumbauen», hatte ihr dann wohl noch ein angetrunkener Dozent zugeraunt, «am besten kombinieren Sie das mit einer untypischen Farbe.» Anders kann ich mir nicht erklären, wie man
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