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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition)
Autoren: Philipp Reinartz
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finden sich im Vorratsschrank dann aber weder Nudeln noch Kartoffeln, sondern nur ebenjener vermaledeite Reis in allen Variationen. Basmati-, Langkorn- und Wildreis fauchen mich abwechselnd an, und ich frage mich, wieso ich beim letzten Einkauf eigentlich wieder so masochistisch war, gleich drei Packungen von dem Teufelszeug zu kaufen. Aber dann fällt mir ein, dass mein breitgefächertes Reissortiment schon seit vielen Einkäufen den Platz im Schrank hütet und deshalb nicht weniger wird, weil das Barometer in letzter Zeit meist gewaltig ausschlägt.
    Ich nehme einen Stift und schreibe «Reis» auf eine an den Kühlschrank magnetete Liste, die mit «Nie mehr kaufen:» überschrieben ist und auf der bisher nur das Wort «Torten» steht. Auf die Idee mit dem Nicht-Einkaufszettel bin ich immer noch ein bisschen stolz. Anstatt aufzuschreiben, was ich kaufen möchte, schreibe ich mir nur auf, was ich nicht kaufen möchte, was den großen Vorteil hat, dass es den Supermarktaufenthalt, das entspannendste Freizeitvergnügen, das sich mir derzeit bietet, erheblich in die Länge zieht. Zehn von 35000 Produkten hat man schnell zusammen, aber beliebig viele von 34998 Produkten, das kann dauern.
    Mein Supermarkt ist mein Sportverein, mein Fernseher, mein Partner – mein Ausgleich nach einem stressigen Arbeitstag. Wie andere gespannt auf Aktienkurse oder Lottozahlen sind, stehe ich aufgeregt vor der Gemüseauslage und frage in Gedanken ZDF-Börsenexpertin Valerie Haller in Frankfurt, wie sich die Stimmung in der Wirtschaft auf die Kurse auswirkt.
    «Bislang reagieren die Märkte eher verhalten. Nur der Paprika-Mix konnte um ordentliche 20 Cent zulegen und steht momentan bei 1,99 Euro. Schwere Kursverluste mussten Auberginen und Kaiserschoten hinnehmen, die im Vergleich zur Vorwoche über 30 Prozent an Wert eingebüßt haben. Aus dem Esel macht man kein Reitpferd, man mag ihn zäumen, wie man will: So ist bei undurchsichtigen Fonds wie ‹Suppengrün› Vorsicht geboten, da dem Anleger hier die genaue Zusammensetzung des Pakets verschwiegen wird. Voll im Trend sind hingegen heimische Produkte: Trotz des hohen Kaufpreises von 2,99 Euro pro Kilo sind momentan keine Bio-Karotten mehr im Markt.»
    Vielen Dank, Valerie Haller, für diese Informationen, heinzwolfe ich dann geistesgegenwärtig und investiere meistens in den Gewinner der Woche, da dessen Kurs vermutlich weiter nach oben klettert und ich mich dann beim nächsten Einkauf freuen kann, rechtzeitig eingestiegen zu sein.
    Ich merke, dass ich noch immer in den Vorratsschrank starre und unterbewusst bereits verschiedene Möglichkeiten durchspiele, wie ich mir die Ekelkörner wenigstens halbwegs schmackhaft machen kann. Gefüllte Paprika? Dauert zu lange. Was mit Curry und Kokosmilch? Die Kokosmilch ist seit vier Wochen abgelaufen. In die Pfanne mit angebratenen Gambas? Bräuchte man Gambas für. Ich gebe es auf, mich zu überwinden, und schiebe mir eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Bei so viel Reis im Markt auch mal antizyklisch handeln. Valerie wäre stolz auf mich.

    45 Minuten und einen Kioskbesuch später stehe ich mit einem Sixpack Kölsch vor einer Klingelschildarmada am Kölner Ring und suche «Hober». Ganz egal, wie oft ich hier schon war: Mein Gedächtnis widersetzt sich konsequent der Idee, sich den Ort der Klingel auch nur ungefähr zu merken. Nach dem ersten Überfliegen des babylonischen Namengewirrs bin ich sogar meistens noch der festen Überzeugung, dass da kein «Hober» dabei war. Heute auch. Petroschek, Janzen, Csikszentmihalyi, Schulze, Hoogdal, Möhrenschläger.
    «Klingelbingo!», stößt es freudig aus mir heraus, was mir verstörte Blicke eines vorbeigehenden Pärchens einbringt. «Hober» habe ich zwar noch nicht gefunden, aber einmal mehr Lennys magisches Dreieck deutscher Hausgemeinschaften. Seine Drei-Namen-Theorie besagt nämlich, dass man beim Betrachten der Klingelschilder eines jeden Hauses mit mehr als zehn Parteien immer auf die gleichen drei Bewohner stößt: erstens den mit einem der fünf häufigsten deutschen Nachnamen, zweitens den mit einem für Mitteleuropäer unaussprechlichen Namen und drittens den mit einem völlig absurden, nicht ernstzunehmenden Namen. Müller – N’dy Letsholonyane – Bömmelburg. Schmidt – Tharmakulasingam – Kotze. Meier – Stamatiadou/Fragkiadaki– Schniedel. Oder eben Schulze – Csikszentmihalyi – Möhrenschläger.
    Gefühlte Minuten später entdecke ich endlich den Hober-Schriftzug. Mir wird
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