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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition)
Autoren: Philipp Reinartz
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klar, dass man den auch früher hätte finden können – schließlich ist es der einzige Name, der nicht in Standardschrift auf vergilbtem Papier modert, sondern in schicker Designschrift auf weißem Hintergrund glänzt. Andererseits sind die Buchstabenlinien so fein, dass man froh sein kann, überhaupt etwas lesen zu können.
    «Ja?», meldet sich Lennys Stimme aus der Sprechanlage.
    «Juten Abend, Ordnungsamt Köln. Die Buchstaben Ihres Klingelschildes verstoßen leider jejen die Türschild-, Klingelknopf- und Briefkastenverordnung», kölsche ich, so gut es geht.
    «Bitte? Um was geht’s?»
    «Zum Beispiel um dat O, dat ist zu eckisch. Und Sie überschreiten durschjängisch die Buchstabenmaximallängen, da sind jetzt 0,77 Zentimeter vorjeschrieben. Außerdem …»
    «Max? Du hast doch echt en Schaden.»

    Das karge Treppenhaus sieht weniger nach Design aus als vielmehr nach Petroschek. Doch im obersten Stockwerk angekommen, weiß ich mich wieder in Lennys schöner neuer Welt: Durch die halbgeöffnete Wohnungstür erspähe ich ein frisch erworbenes Möbelstück, das ich für einen Holzklotz halte, das sich mir bei näherer Betrachtung jedoch als wandmontiertes Hängemodul aus schwarz gebeiztem Eichenfurnier vorstellt. Wär ich selbst nicht drauf gekommen, aber das noch nicht entfernte BoConcept-Produktetikett spielt Visitenkarte. Mitten im Raum beugt sich Lenny oberkörperfrei über ein wohl gerade geöffnetes Großpaket, aus dem er verschiedene T-Shirts hervorholt, die alle mit auffälligem Abercrombie & Fitch -Schriftzug benäht sind. Als er mich sieht, jauchzt er mir sogleich das Hober’sche Halleluja entgegen:
    «Alter!»
    Niemand kann diese kumpelhafte Anrede so zelebrieren wie Lenny. Es ist nicht das runtergerotzte Alta, das Souley-G zu MC Frauenfänger auf dem Weg von Sunpoint zum Hiphop-Battle im Jugendzentrum raunt. Es ist ein kultiviertes, weltoffenes, auf beiden Silben gleich begeistert betontes, beinahe gesungenes Alll-teer.
    «Was sollte denn das mit der Klingel?», beschwert sich Lenny, «ich find Alien League total geil.»
    »Was hat das mit der Klingel zu tun, dass du jetzt Online-Fantasyspiele zockst?»
    «Das ist die Schriftart, du Penner.»
    «Könntest du dir vielleicht was anziehen? Dein Oberkörper macht mir ein schlechtes Gewissen.»
    Genüsslich spannt Lenny noch einmal sämtliche Muskelgruppen an, bevor er sich eines seiner importierten Amishirts überwirft.
    «Cuba Libre?»
    «Ich hab Bier dabei.»
    «Ja, egal, ich mach uns jetzt erst mal zwei Cuba Libre.»
    Bevor Lenny den Raum verlässt, klickt er noch auf eine futuristische Fernbedienung, wodurch beatlastige Musik startet, der passende Videoclip auf dem Fernseher erscheint und bunte Lichter angehen.
    «Geil, oder? Ich hab auch noch ’ne App gebastelt, über die ich das dann auch unterwegs mit dem iPhone machen kann.»
    «Du kannst, während du in der Bahn sitzt, die Lichtstimmung in deinem Wohnzimmer ändern? Glückwunsch!»
    «Ach, leck mich, Alter», sagt Lenny im Rausgehen, und es ist dieses Mal kein Lenny-Alter. Mein Blick wandert von dem Flachbildungeheuer mit tanzenden Blondchen über eine grazile schwarze Stehlampe mit Alien-League-verdächtig dünner Stele hin zu einem weiß lackierten Schreibtisch, der bei IKEA vermutlich Stabil oder Lasse heißen würde, Lenny in seinen Einrichtungstempeln aber wohl eher als Portofino oder Rustique verkauft wurde. Doch dann lande ich wieder bei den bunten Lampen, die ihre Farbe stets dem Farbspektrum des Fernsehbildes anpassen. Wahnsinn, was es heutzutage alles gibt. Ich fühle mich irgendwie loungemäßig. Trendy, aber nicht hip.
    Als ich plötzlich eine Türklingel höre, überlege ich kurz, ob das vielleicht auch zu Lennys Heimtheatershow gehört, merke dann aber, dass es wirklich nur an der Tür geläutet hat. Stimmt, Wilhelm wollte vor der Party ja auch noch vorbeikommen. Ich drücke auf das Schlüsselsymbol der Gegensprechanlage.
    Auf dem Rückweg zur Couch erspähe ich auf einer der Einkaufstüten in Lennys Postpaket eine äußerst attraktive Miss Fitch, die vor ländlichem Seenpanorama einen lasziv an eine Säule gelehnten Mister Abercrombie bewundert. Er ist oberkörperfrei, muskulös und sehr verschwitzt, was mir vermutlich sagen soll, dass er gerade vom Kanufahren, der Cranberry-Ernte oder einer freundschaftlichen Rauferei unter kernigen Countryboys kommt. Auf jeden Fall lässt die Atmosphäre des Schwarzweißbildes keinen Zweifel, dass Mister Abercrombie die nächste seiner
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