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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition)
Autoren: Philipp Reinartz
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zahlreichen sportlichen Aktivitäten mit Miss Fitch unternehmen wird. Und dass man das alles auch haben kann, wenn man sich deren Shirts anzieht. Ich lasse mich von solchen Marketingtricks natürlich nicht beeinflussen. Aber andererseits ist es schon unfair, dass ich mich größtenteils mit Toilettendeckeln und Zylinderkopfschrauben beschäftige, während der Typ sich im Lake Michigan Karpfen angelt. Und Miss Fitch. Ich ziehe mir mein T-Shirt aus und greife in die Tüte der baumwollenen Heilsversprechen. Doch noch bevor ich mir die Coolness meines amerikanischen Natur- und Frauenfreundes überstreifen kann, fällt mir Lennys magische Fernbedienung auf dem Couchtisch ins Auge. Wir sind momentan tatsächlich im Einstellungsmodus «Lounge». Nacheinander drücke ich mich auch durch die anderen gespeicherten Programme: Bei «Stadion» geht der Dolby-Surround-Sound an, bei «Film» zusätzlich das Licht aus, und bei «Morgen» rattert die Kaffeemaschine los, und das Fernsehprogramm springt auf n-tv.
    Am meisten beeindrucken mich jedoch die Optionen «Romantic 1–3». Nicht nur, dass Lenny offensichtlich die Atmosphäre seines Vögelnests in drei wählbaren Abstufungen standardisiert. Nein, er betitelt dies darüber hinaus auch noch euphemistisch mit «Romantic». Bei «Romantic 1» wird das Licht grellblau, und auf dem Fernseher beginnt ein Videoclip, in dem Frauen mit sehr kurzen Röcken zu schnellen Housebeats Saxophon spielen. Der Mann hat wirklich ganz eigene Vorstellungen von Romantik. «Romantic 2» taucht den Raum in ein gedimmtes, warmes Gelb, der Fernseher bleibt aus, und es ertönt Musik von Buena Vista Social Club. Und bei «Romantic 3» geht das Licht ganz aus, und R. Kelly haucht I believe I can fly . Ich bin wirklich mit dem durchgeknalltesten Frauenheld Kölns befreundet. Da ich grundsätzlich für Transparenz und Ehrlichkeit bin, wähle ich das Feld «Umbenennen» an und mache aus «Romantic 1» «Sportsex», «Romantic 2» wird zu «Sex on the Beach», und «Romantic 3» darf ich wegen der Zeilenlänge nicht «Wie beim ersten Mal» nennen und entscheide mich daher für «Langweilige Alte».
    In diesem Moment kommt Lenny mit zwei Cuba Libre in der Hand zurück. Mir wird klar, dass ich oberkörperfrei im Halbdunkeln sitze, während R. Kelly mir seine Flugwünsche vorweint. Und dass das wohl komisch wirken muss.
    «Alles klar bei dir?»
    «Ja sicher. Gib mir erst mal den Cuba Libre.»
    Ich halte Lennys entgeisterten Blick einen Moment lang für einzigartig, muss mich jedoch korrigieren, als einige Augenblicke später eine braunhaarige Frau den Raum betritt. Offensichtlich habe ich nicht Wilhelm die Tür geöffnet. Sie starrt mich an, dann die Lautsprecher und dann Lenny, der mir gerade einen Cuba Libre reicht.
    «Stör ich euch?»
    «Wir machen grad Romantic 3», scherze ich, ohne die erfrorenen Mienen der beiden auftauen zu können, und schiebe ein «Hi, Max» hinterher.
    «Hi, Sandra, ich hatte hier nur was vergessen, ich bin …»
    «Können wir das vielleicht kurz draußen klären?», funkt Lenny dazwischen.
    «I believe I can touch the sky», singe ich kurz mit, ziehe mir dann aber schnell wieder mein Shirt an und beame uns zurück in die Lounge, um keine weiteren Missverständnisse aufkommen zu lassen.

    Wenig später höre ich die Wohnungstür zufallen, bevor Lenny sichtlich angespannt zurückkommt.
    «Alter, wieso läufst du hier oberkörperfrei rum?»
    «Bist du bis vor fünf Minuten auch.»
    «Ich wohne hier.»
    «Ich wollte mal eines deiner schicken Shirts probieren.»
    «Die sind nicht schick, die sind casual.»
    «Aso.»
    «Alter, du kannst doch nicht einfach irgendwelche Frauen hier reinlassen!»
    «Wer war das denn?»
    «Irgendeine, die hier letztens ihre Ohrringe liegengelassen hat.»
    «Die sah im Vergleich zu deinen anderen Hasen eigentlich ziemlich sympathisch aus.»
    «Ja, Sarah ist auch echt ’ne Nette.»
    «Sandra.»
    Als es in diesem Moment erneut klingelt, erteilt mir Lennys Blick absolutes Bewegungsverbot. Als Türsteher wird er mich nicht mehr einstellen. Erst als klar ist, dass der Klingler nicht für die Türschild-, Klingelknopf- und Briefkastenverordnung kämpft und auch kein One-Night-Stand auf der Suche nach vergessenen Accessoires ist, sondern Wilhelm, sieht Lenny etwas entspannter aus.

    Wilhelm schafft es schon durch sein Erscheinungsbild, den Gegenpol zu Lenny im Lenny-Wilhelm-Magnetfeld einzunehmen, in dem ich mich ständig widerstrebenden Kräften
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