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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee
Autoren: Wladimir Kaminer
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gern mit Problemen, die sie überhaupt nichts angehen und die Erde ist immer noch (s. o.).
    Was hat nun das alles mit der Schönhauser Allee zu tun?
    Ganz einfach: Ich wohne dort.
    Als Kind hatte ich eine große Achtung vor dem gedruckten Wort. In meiner alten sowjetischen Geburtsurkunde stand ganz unten:
»Hiermit erkläre ich den Genossen Wladimir Kaminer, Sohn von Frau Kaminer und Herrn Kaminer, wohnhaft da und da, für geboren. Dem Geschriebenen glauben.«
Es folgte die Unterschrift:
»Der stellvertretende Notar Herr Rachkowskij.«
Als ich fünf Jahre nach der Geburt lesen lernte und die Urkunde studierte, dachte ich, Herr Rachkowskij sei der Schöpfer. Also gewöhnte ich mir an, dem gedruckten Wort mehr Glauben zu schenken als der eigenen Wahrnehmung.
    Auf der Schönhauser Allee, die seit über fünf Jahren meine Wahlheimat ist, ereignen sich ständig merkwürdige Geschichten. Jedes Mal, wenn ich sie jemandem erzähle, denkt derjenige, ich spinne. Dadurch werde ich auch selbst unsicher – vielleicht ist alles doch nur im Traum passiert? Das würde jedoch bedeuten, dass ich selbst auch eine imaginäre Figur bin, die mit dem wirklichen Leben nichts zu tun hat. Aus Angst zu verschwinden, habe ich einige dieser Ereignisse zu Papier gebracht, damit sie eine gewisse Glaubwürdigkeit gewinnen, in erster Linie in meinen eigenen Augen. Mit diesen Notizen schlage ich also zwei Fliegen mit einer Klappe: Nun wissen alle, was auf der Schönhauser Allee los ist, und meine Realitätswahrnehmung wird gestärkt. Wenn ich dann zukünftig etwas über das Leben hier erzähle, und mir wieder keiner glaubt, sage ich ganz locker: »Übrigens, das alles ist schon längst wissenschaftlich bewiesen und in so einem dicken Buch von mir aufgeschrieben worden.« Dann werden sie bestimmt ganz anders kucken.
    Und noch etwas: Alle mir bekannten Personen, die in dem Buch vorkommen, kriegen von mir selbstverständlich eine Entschädigung dafür. Vor allem meine Nachbarn und die Familie Dong. Ich will ja noch nicht umziehen. Alle anderen Personen, die vielleicht beim Lesen auf die Idee gekommen sind, sie seien in der einen oder anderen Weise in diesem Buch ebenfalls präsent, möchte ich gleich eine Autorengarantie geben:
Sie sind es nicht.
    Ihr Autor

Über das Buch
    Deutschland – ein Russenmärchen: Niemandem gelingt es besser als Wladimir Kaminer, uns das eigene Land wie ein Panoptikum bemerkenswerter Menschen, merkwürdiger Schicksale und unerhörter Begebenheiten erscheinen zu lassen.
    Auf der Schönhauser Allee wird nicht nur der tägliche Einkauf zum Erlebnis, hier warten überall verrückte Abenteuer und einmalige Entdeckungen auf den aufmerksamen Beobachter. Ein überfüllter Müllcontainer entpuppt sich als letzte Ruhestätte einer Bibliothek, Passanten weisen verblüffende Ähnlichkeiten mit berühmten Persönlichkeiten auf, und auch die große Kunst kommt nicht zu kurz. Schade ist es allerdings um das Restaurant, das bei dem Versuch, gebratenes Sushi zu kreieren, in Asche gelegt wurde. Auf den Straßen Berlins ist eben immer etwas geboten...

Über den Autor
    Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Toningenieur für Theater und Rundfunk und studierte anschließend Dramaturgie am Moskauer Theaterinstitut. Seit 1990 lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin. Kaminer veröffentlicht regelmäßig Texte in verschiedenen deutschen Zeitungen und Zeitschriften, hat eine wöchentliche Sendung namens »Wladimirs Welt« beim SFB4 Radio MultiKulti, wo er jeden Samstag seine Notizen eines Alltagskosmonauten zu Gehör bringt, und er organisiert im
Kaffee Burger
Veranstaltungen wie seine inzwischen berüchtigte »Russendisko«. Mit der gleichnamigen Erzählsammlung avancierte das kreative Multitalent über Nacht zu einem der beliebtesten und gefragtesten Jungautoren in Deutschland. Nach dem Erzählband »Russendisko«, der von ihm herausgegebenen Anthologie »Frische Goldjungs« und dem Roman »Militärmusik« legt Wladimir Kaminer hier seinen zweiten Band mit Kurzgeschichten vor.
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