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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee
Autoren: Wladimir Kaminer
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liefern, wo sie Soldatenmassen oder das Volk etwa bei der Darstellung der großen Oktoberrevolution mimen mussten. So ein Schauspieler war auch Malkovich – ein typisches Opfer der Planwirtschaft. Lange Zeit hat er überhaupt keine Rollen bekommen, gab aber trotzdem nicht auf und versuchte immer wieder mithilfe einer Agentur seinen Mafiablick zu verkaufen.
    1997 gelang ihm endlich der Durchbruch: Er wurde für die Werbespotserie »Ich bin doch nicht blöd« des »Mediamarktes« engagiert. Der Werbefilm lief damals im Fernsehen lange genug, um jeden zu erreichen: Malkovich stand in voller Größe in einem Kaufhaus und hielt eine Tüte mit dem »Mediamarkt«-Logo in der Hand. Er war wie ein Mafiosi gekleidet, mit einer dicken Goldkette um den Hals und allem, was dazugehört. Ein Journalist kam mit dem Mikro in der Hand auf ihn zu und fragte: »Ah, Sie sind auch hier?«»Ich bin doch nicht blöd«, antwortete Malkovich, und wurde ganz rot im Gesicht.
    Er sah in dieser Rolle total unglaubwürdig aus. Man hatte ständig das Gefühl, der Mann mit der »Mediamarkt«-Tüte lügt. Doch Malkovich selbst war auf seine schauspielerische Leistung sehr stolz und benahm sich eine Weile wie ein erfolgsverwöhnter TV-Star. »Ah, heute war ich schon wieder im Fernsehen«, seufzte er jedes Mal, wenn wir uns auf der Straße trafen. Leider erwies sich schon wenig später der »Mediamarkt«-Auftritt als der Höhepunkt seiner Karriere. Lange Zeit bekam er keine neuen Aufträge. Doch vor kurzem erschütterte eine neue Nachricht die Szene: Malkovich soll als Fotomodell für den »Heine«-Versandhauskatalog fotografiert worden sein und dabei ganz viel Geld bekommen haben, deswegen säße er nun jeden Tag in einer teuren Kneipe und trinke Whisky. Er selbst wollte uns nicht sagen, für welches »Heine«-Produkt er Werbung gemacht hatte, und sein merkwürdiges Schweigen gab Anlass zu den wildesten Spekulationen. Vielleicht musste er irgendwelche Dessous mit pornografischen Gesten vorführen?
    »Sag mal, Malkovich, was steht bei diesem Katalog eigentlich auf dem Cover«, fragten wir ihn.
    Er machte ein wichtiges Gesicht und sagte: »Dort steht ‘Heine – immer etwas Besonderes!’«
    »Aber dieser Spruch steht doch auf jedem deutschen Katalog«, erwiderten wir, und quälten uns dann später damit, dass wir alle »Heine«-Kataloge, die wir in die Hände kriegen konnten, durchblätterten: Die Sommerkollektion, die Winterkollektion und wieder die Sommerkollektion – alles vergebens. Unser Mann war nirgends darin zu finden. Bis meine Frau ihn eines Tages in einem speziellen »Heine«-Unterwäschekatalog entdeckte: Malkovich trug rote Slips und ein T-Shirt in derselben Farbe und kuckte sehr ernst. So als wäre er gerade von gründlichen Banditen ausgeraubt und entkleidet worden. Doch an seinen Augen konnte man ablesen: »Ein zweites Mal wird mir so etwas nicht passieren.«

Nachwort
    Die Erde ist rund. Viele Menschen besitzen außergewöhnliche Fähigkeiten, finden aber dafür keine Verwendung. Manche können sehr schnell laufen, müssen aber nicht. Sie werden nie von jemandem verfolgt und verfolgen auch selbst niemanden. Mancher würde für so eine Fähigkeit viel geben, hat aber nichts.
    Ein Freund von mir, der in Moskau lebt, kann allein mit der Kraft seines Geistes schwere Gegenstände in Bewegung bringen, besitzt aber selbst keine. Ein anderer Freund aus Berlin hat eine ganze Menge davon, aber die geistige Kraft sie zu bewegen fehlt ihm völlig. Höchstens sein Auto kann er bewegen, weiter nichts. Was tun? Ganz einfach, die beiden müssen sich treffen. Der eine wie der andere verreisen gerne und treffen sich dann auch bestimmt, wie sich früher oder später alles hier trifft – weil die Erde bekanntlich (s. o.).
    Gruppeninteressen entstehen, die Menschen bilden verschiedene Einheiten, tauschen Erfahrungen miteinander aus, besuchen Yogakurse, und irgendwann können praktisch alle alles. Außergewöhnliche Fähigkeiten werden zum Gemeingut. Die individuellen Probleme werden mithilfe der modernen Medizin eins nach dem anderen beseitigt. Nur die Frage nach dem Sinn bleibt.
    Die Wahrnehmung der Realität ändert sich laufend, immer wieder entstehen neue philosophische und gesellschaftliche Konzepte, die sich mit der Frage beschäftigen, was das Ganze soll. Es findet ein Prozess der permanenten Neubewertung statt.
    Was hat sich aber wirklich verändert?
    Alles.
    Und was ist geblieben?
    Die Menschen verreisen immer noch gern, sie beschäftigen sich
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