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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee
Autoren: Wladimir Kaminer
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fröhlich bleibt.
    Neben dem Zwerg liegt eine andere Patientin von Susanne, eine alte Frau die alle Geräte im Zimmer nachpiepst. Außerdem versucht sie den Zwerg immer anzufassen, wenn er im Krankenzimmer herumrennt. Die ganze Zeit hat Susanne einen Defibrilator auf dem Rücken. Wenn ihr Reha-Pieper piept, heißt das, jemand im Krankenhaus ist gerade dabei, den Geist aufzugeben. Dann muss Susanne mit dem Defibrilator losziehen.
    Auch Carsten hat einen tollen Arbeitsplatz. Er arbeitet in Neukölln im »Haus des älteren Bürgers« und ist dort für die Inkontinenten-Singgruppe zuständig. Jede Woche versammelt sich diese Gruppe in dem großen Saal des Hauses, um ein Kartoffellied zu singen. Carstens Aufgabe ist es, die Stühle für die Gruppe aufzustellen. Außerdem soll er jede Woche eine neue Strophe zum Kartoffellied dazu reimen. Am Wochenende macht Carsten Hausbesuche. Er hilft den alten Leuten, die ihre Rente irgendwo in ihrer Wohnung versteckt haben und dann nicht mehr finden können, wieder an das Geld zu kommen. Darin ist Carsten ein richtiger Profi geworden und kann mit geschlossenen Augen in jeder fremden Wohnung Geld finden. Nur in seiner eigenen kann er das nicht, weil sowohl seine Arbeit als auch die von Susanne so schlecht bezahlt werden.
    Carsten studiert zur Zeit Leibniz, besonders interessiert ihn die berühmte Monadenlehre. Auch an diesem Tag war er ganz voll davon. »Wir bestehen alle nur aus Monaden und die ganze Welt um uns sowieso«, meinte er bestürzt. Wir tranken Tee, und ich versuchte Carsten zu beruhigen. »Das Leben lässt sich in keine Theorien packen. Ich bin zum Beispiel stolz, eine Monade zu sein. Ja warum eigentlich nicht?«
    Wir kuckten aus dem Fenster: Im Westen verschmolz eine runde, knallrote Monade mit dem Horizont, im Osten hing eine andere, gelb und wie mit Tinte befleckt. Es war still im Haus. Ich schaltete das Radio ein. »Sie hörten ein Monadenkonzert von Brahms«, verkündete plötzlich eine süßliche Stimme aus dem Lautsprecher. Es dämmerte.

Berühmte Persönlichkeiten auf der Schönhauser Allee: John Malkovich
    »Wer ist eigentlich dieser gewalttätige Mongole, der bei eurer Russendisko ständig durch den Raum irrt, mit einem Gesichtsausdruck, als wollte er jemanden ermorden?«, fragte mich neulich eine Journalistin aus der Schweiz.
    »Was für ein Mongole?«, wunderte ich mich.
    »So ein großer, mit kräftigen Schultern, bösen Augen und einem Holzkreuz auf der Brust.«
    Mir wurde klar, dass sie Malkovich meinte. »Dieser Mongole«, sagte ich, »ist kein Mongole, er kommt aus Saratow und heißt bei uns der Schauspieler Malkovich.« Der Gesichtsausdruck eines Killers ist ihm angeboren. In Wirklichkeit tut er aber keiner Fliege etwas zu Leide, er ist ganz harmlos, ein bisschen verrückt vielleicht, wie alle Schauspieler, aber nicht übermäßig. Er kam wie ich auch 1990 nach Deutschland und beantragte politisches Asyl. Normalerweise dauert es hier Jahre, bis ein Asylbewerber abgelehnt wird, aber im Falle Malkovichs gab sich die deutsche Bürokratie richtig Mühe. Bereits 24 Stunden nach seinem Antrag sollte er schon wieder abgeschoben werden.
    In trauriger Stimmung schlich er zu einer Kneipe am Amrumer Platz, um dort sein letztes Geld zu versaufen. Da passierte ein Wunder: Die Wirtin verliebte sich in Malkovich. Sie setzte sich sofort mit einem Rechtsanwalt in Verbindung und schaffte es, den Mann bereits 23 Stunden später zu heiraten. Die Liebe besiegte die Bürokratie. Mit der Wirtin lebte Malkovich danach fünf Jahre zusammen, drei Kinder sind aus dieser Ehe entstanden; zwei Mädchen und ein Junge. Malkovich erwies sich als hoffnungsloser Faulenzer, als der geborene Arbeitslose. Mit seinem finsteren Aussehen konnte er leicht russische Mafiosi in deutschen Filmen darstellen, aber er war ein zu schlechter Schauspieler, besser gesagt eine zu ehrliche Haut: Er konnte niemanden imitieren. Jedes Mal, wenn er etwas vorspielen sollte, wurde er rot im Gesicht und schwitzte. Sofort wusste jeder, dass er schauspielerte.
    Für mich ist es immer noch ein Rätsel, wie solch ein Mann Schauspieler werden konnte. Ein russischer Regisseur erzählte mir einmal, wie es früher in der Sowjetunion mit der Schauspielausbildung war: Alles lief nach Plan. Die Theaterschulen bekamen Anweisung vom Kulturministerium, in diesem Jahr zum Beispiel junge Menschen mit einem besonderen Gesichtsausdruck zu finden und sie zum planmäßigen Termin in die zahlreichen Theaterhäuser der Sowjetunion zu
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