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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee
Autoren: Wladimir Kaminer
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nächsten Morgen aufwachte, suchte der Krieger vergeblich nach seiner Waffe, die er im Suff verloren hatte – eine Vollautomatik, das einzig Wertvolle, was er besessen hatte. Er hatte noch Großes mit ihr vorgehabt. Er wollte sie nämlich in Saratow auf dem Flohmarkt verscheuern, und mit dem Geld tolle Geschenke für seine Eltern kaufen. Nun war sie aber weg, zur großen Freude der anderen Reisenden. Sie hänselten ihn, und der junge Mann weinte beinahe, denn ohne Waffe war er kein Soldat und verdiente keine Achtung mehr. Meine Schwiegermutter hatte jedoch ein großes Herz. Sie zog ihre trockenen Ersatzpantoffeln an und ging durch den Zug, um seine Vollautomatik zu suchen. Sie war schnell gefunden: Einige Kinder im Waggon nebenan spielten damit Krieg. Sie hatten die Vollautomatik auf dem Klo entdeckt und richteten sie nun auf die Schaffnerin, damit die ihre Uniform ausziehe. Meine Schwiegermutter entwaffnete die Kinder kurzerhand und brachte die Waffe dem Soldaten zurück. »Du hast mir mein Leben gerettet, Mutti!«, schrie er auf, »dafür werde ich deine Tochter heiraten.«
    »Um Gottes willen, wer braucht schon so einen Bräutigam«, erwiderte meine Schwiegermutter. »Wie ein beknackter Affe siehst du aus. Außerdem ist meine Tochter schon verheiratet, mit einem Schriftsteller in Berlin«, sagte sie stolz. Da durchschaute der Soldat sofort sein ganzes Elend und wurde nachdenklich. Bis nach Saratow wechselte er kein Wort mehr mit meiner Schwiegermutter. Dort im Konsulat hatte ein Freund von uns schon alles vorbereitet. Sogar eine Nummer hatte er für meine Schwiegermutter schon gezogen, sie musste also nicht mehr zwei Wochen wie die anderen warten, bis sie dran war. Für 200,– DM bekam sie eine Auslandskrankenversicherung, die in keinem Land der Welt anerkannt wird, eine Liste mit Telefonnummern der russischen Botschaft in Deutschland und all das sonstige Zeug, was die schlauen russischen Mitarbeiter jedem andrehen. Nicht zu vergessen das Visum. Nach zwei Tagen saß sie wieder im Zug, diesmal in Richtung Deutschland über Brest.
    Wo die Polen nach Drogen suchen und dafür spezielle polnische Schäferhunde einsetzen, die die Drogen riechen können, da suchen die weißrussischen Zöllner nur nach Geld. Dabei haben sie im Laufe der Zeit außergewöhnliche Fähigkeiten entwickelt, und mittlerweile finden sie es überall, selbst dort, wo keines ist. Nur naive Menschen denken, dass Geld nicht stinkt. Die weißrussischen Schäferhunde können Geld selbst aus großen Entfernungen riechen. Es müssen nicht einmal unbedingt große Scheine sein, selbst eine kleine Münze bringt diese Experten zum Bellen. Auf die Summe kommt es ihnen nicht an. Selbst wenn sie nur einen Pfennig riechen, freuen sich die Hunde darüber wie verrückt. Auf diese Weise sind die weißrussischen Zöllner natürlich in einer vorteilhafteren Situation als ihre polnischen Kollegen. Sie erwirtschaften pures Geld, während die Polen sich ständig überlegen müssen, wie sie den Stoff wieder loskriegen.
    Es finden sich aber immer wieder mutige Reisende, die keine Angst vor den weißrussischen Schäferhunden haben und ihr Geld gar nicht erst verstecken. Dazu gehörte auch meine Schwiegermutter. Sie hatte hundert Mark bei sich und sagte den Zöllnern gleich: »Hier ist mein Geld, alles ist offiziell und ich habe nicht vor, euch was zu geben.« Da hatten sie sofort keine Lust mehr weiterzusuchen und zogen Leine. Sie können nämlich nur das Geld behalten, das versteckt wurde, so sind die Spielregeln. »Wieso gehen Sie schon, werden Sie uns denn heute gar nicht ausziehen?«, wunderten sich die anderen Frauen im Abteil. Sie fuhren diese Strecke regelmäßig, und bisher waren sie noch jedes Mal von den Zöllnern ausgezogen worden, sodass es sie schon fast danach verlangte. Manche fuhren die Strecke immer wieder, nur um von den Zöllnern ausgezogen zu werden, denn wo sonst fänden sie noch so viel Neugier und Interesse an ihrem Körper? Doch diesmal hatte meine Schwiegermutter ihnen die Show vermasselt.
    Auf dem Weg zum Bahnhof Lichtenberg war ich im Stau stecken geblieben und hätte beinahe den bunten Russenzug verpasst. Meine Schwiegermutter stand schon auf dem Bahnsteig mit zwei riesigen schwarzen Taschen: zwanzig Kilo selbst gemachte Aprikosenkonfitüre in Dreilitergläsern waren darin.
    »Das musste doch nicht sein«, sagte ich wie schon beim letzten und beim vorletzten Mal zur Begrüßung.
    »Wir hatten so eine reiche Ernte dieses Jahr«, erwiderte sie,
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