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Schoener Schlaf

Schoener Schlaf

Titel: Schoener Schlaf
Autoren: Gabriella Wollenhaupt , Friedemann Grenz
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war es, als träfe er gute alte Bekannte.
    Im Glas der Eingangstür überprüfte er seine Erscheinung. Sein Hauptaugenmerk galt wie immer seinem Hemdkragen: Saß die Fliege gerade und war sie noch immer fest gebunden? Er wusste, dass ihn dieser Halsschmuck als Sonderling abstempelte, aber vielleicht war das ja gerade der Grund, warum er sein Haus nie ohne Fliege verließ.
    Er verweilte gerade vor einem Kirchner, als er die Frau bemerkte. Sie war Mitte bis Ende dreißig, ein wenig größer als er, dunkelhaarig und kräftig. Ihre Stirn war breit und ihr Haar glänzte. Es war streng nach hinten gekämmt und mit einem einfachen Gummi zusammengefasst. Sie trug auffallende weiße Ohrringe und eine mehrfach um den Hals gewundene Kette aus Holzperlen. Sie war nicht nach der neuesten Mode gekleidet, denn diese propagierte zurzeit grelle Farben und ausladende Formen. Dagegen trug sie einen schmalen, schwarzen Hosenanzug. Ihr hatte es offenbar eine Landschaft von Erich Heckel angetan.
    Fabry überlegte, ob er sie ansprechen sollte – doch in dem Moment stand sie auf und schlenderte weiter, ohne Notiz von ihm zu nehmen. Schließlich bog sie um eine Ecke und war verschwunden.
    Na gut, dann nicht. Auch Fabry ließ ab von den Bildern, begab sich ins Café der Kunsthalle und bestellte einen Cappuccino. Den kleinen Keks, der auf der Untertasse lag, tunkte er in die Flüssigkeit und sah gebannt zu, wie sich der Glanz der Glasur langsam kräuselte. Kurz bevor das Gebäck außer Form geriet und in sich zusammenbrechen wollte, schnappte er danach und vertilgte es. Ein Gefühl der Überlegenheit machte sich in ihm breit – er hatte die Natur und ihre physikalischen Gesetze durch schnelles und beherztes Handeln außer Kraft gesetzt.
    Er musterte die anderen Gäste. Nur Rentner und Schüler – niemand, der ihn interessierte. Schnell trank er den Cappuccino aus, bezahlte und verließ die Kunsthalle.
    Gegenüber befand sich das große Kaufhaus, das er ab und zu aufzusuchen pflegte, um Stoffe für seine Fliegen zu kaufen. Er mochte solche Einkaufstempel. Da konnte er unter Menschen sein, ohne sich mit ihnen abgeben zu müssen.
    Vor der Eingangstür hatte sich ein Bettler niedergelassen. Auf seinem Plastikteller lagen ein paar Münzen. Der Mann kauerte neben einem großen Abfallbehälter und hielt den Kopf gesenkt, was vermutlich eine gewisse Demut ausdrücken sollte. Fabry war sich jedoch sicher, dass diese Haltung nur eine Masche war, und streifte beim Vorübergehen den Teller absichtlich mit dem Fuß. Die Münzen rollten auf das Pflaster. Aufgeschreckt griff der Bettler danach und hob den Kopf. Sein Blick und der von Fabry trafen sich für eine Sekunde. Den Bettler fröstelte, er senkte die Lider sofort wieder.
    Als habe er sein Ungeschick nicht bemerkt, trat Fabry durch die Eingangstür und blieb an dem Tisch mit den Hemden stehen, den Bettler noch immer im Visier. Der hatte sein Bettelgeld inzwischen wieder auf den Teller geräumt und war in seine kauernde Haltung zurückgefallen.
    Fabry kramte in den Hemden und rechnete. Wenn der Bettler pro Stunde zehn Euro bekam und nur fünf Stunden vor dem Kaufhaus herumlungerte, käme er auf fünfzig Euro pro Tag. Bei zwanzig Tagen im Monat hätte er ein Einkommen von tausend Euro, steuerfrei. Dazu kam die Sozialhilfe, die der Mann mit Sicherheit zusätzlich bezog.
    Fabry wusste nicht, ob er den Bettler beneiden oder hassen sollte.
    Eine Verkäuferin näherte sich und fragte, ob sie etwas für ihn tun könne. Fabry verneinte und wandte sich von dem Hemdenstapel ab. Die Verkäuferin schickte ihm einen mürrischen Blick hinterher und beseitigte die Unordnung, die er angerichtet hatte.
    Fabry sah wieder zum Bettler. Eine Hand senkte sich zum Teller und legte ein paar Münzen darauf. Es war die Hand der dunkelhaarigen Frau aus der Kunsthalle.
    Sie lächelte den Bettler an, betrat das Kaufhaus und lief an Fabry vorbei. Ihr Gang war energisch und harmonisch, sie hielt sich gerade und strahlte eine gewisse Grazie aus. Die Rolltreppe entführte sie in die erste Etage.
    Fabry folgte, kam aber an den anderen Menschen, die nach oben wollten, nicht vorbei. Er landete in der Abteilung für Damenoberbekleidung. Nichts. Die Frau war nicht zu sehen. Schon wieder hatte er sie verloren. Unschlüssig betrachtete er die Auslagen, wartete, ging weiter zu den Badeanzügen, wartete wieder
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