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Schöne Zeit der jungen Liebe

Schöne Zeit der jungen Liebe

Titel: Schöne Zeit der jungen Liebe
Autoren: Eric Malpass
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Schluck von ihrem Gin Tonic und begann einen Rundgang durch den Saal, um die ausgestellten Bilder zu betrachten.
    Aber ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem verhängten Bild auf der Staffelei zurück. Charles, selbstsicher und glücklich, wie es schien, plauderte heiter mit seinen Gästen. Seit den freundlichen Begrüßungsworten hatte er kaum einen Blick mehr für May gehabt. Und wie oft hatte sie sonst bei Veranstaltungen gespürt, daß seine Augen auf ihr ruhten. Offensichtlich war er entschlossen, ihr gegenüber nie wieder einen Schritt zu weit zu gehen. Fast bedauerte sie es. Oder hatte er sich vielleicht durch das Malen des Porträts innerlich von ihr befreit? Im Grunde ihres Herzens wollte sie gar nicht, daß er sich innerlich von ihr befreite.
    Amanda trank gelangweilt Coca-Cola und wartete, daß Liz endlich kam. Auch sie hätte gern gewußt, was unter dem Tuch verborgen war. Ob Mummy auf Mr. Buntings Bild so streng und gemein aussah, wie sie in Wirklichkeit war? Sie überlegte, ob sie es wagen sollte, einen Blick unter das Tuch zu werfen. Vorsichtig schob sie sich durch den Wald von Erwachsenen hindurch in die Nähe der Staffelei.
    Jetzt war sie da. Niemand, soweit sie sehen konnte, blickte in ihre Richtung. Sie streckte die Hand aus, nahm einen Zipfel des Tuchs und wollte sich gerade bücken, um unauffällig unter das Tuch zu spähen, als ein Herr, der vier Sherries ohne Tablett vor sich hertrug, über sie stolperte und das Tuch ganz langsam von dem Bild herunterzurutschen begann. Mit einem wilden Schrei stürzte Charles durch den Raum und hielt mit starker Hand das Tuch am oberen Rahmen fest - zu spät, um zu verhüten, daß eine Ecke des Bildes sichtbar wurde: ein Stück Hintergrund, eine Frauenschulter, eine Haarsträhne.
    »Entschuldigung«, sagte Amanda. »Tut mir leid.«
    Charles sah sie an, sagte dann aber sehr sanft: »Macht nichts, mein Kind. Laß nur. Ich bin Schlimmeres gewohnt.«
    Immer noch das Tuch haltend, rief Charles jetzt mit lauter Stimme: »Meine Damen und Herren, ich wollte noch auf meine Tochter und unsere anderen Gäste warten. Aber sie haben sich verspätet, und nun ist mir die Entscheidung aus der Hand genommen worden. Wir schreiten jetzt zur Enthüllung des Bildes.«
    Applaus, Gelächter und Zurufe.
    »Sie mögen anderer Meinung sein«, fuhr Charles fort, »aber ich persönlich betrachte dieses Bild als mein wichtigstes Werk. Was die Mona Lisa für Leonardo, was Saskia für Rembrandt war, das ist - wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf - dieses Bild für mich.«
    Die Anwesenden schnappten nach Luft. Alle warteten gespannt. So stolz und empfindlich Charles Bunting auch war, als Künstler, wenn es um seine Arbeit ging, war er eher bescheiden. Wenn er in solchen Worten über ein Bild von sich sprach, mußte es schon etwas Besonderes sein. May merkte, daß sie zitterte. Sie hatte das Gefühl, einer Ohnmacht nahe zu sein.
    Charles sah sich jetzt um und sagte in einem leicht spöttischen Ton: »Aber ich kann unmöglich mein Bild selber enthüllen. Das schickt sich nicht. Dafür brauchen wir eine Dame.« Sein Blick fiel auf May. »May - tust du es mir zuliebe?«
    »O nein«, flüsterte sie. »Nein, nein.«
    »Komm schon«, sagte Jocelyn, und er legte die Hand unter ihren Ellbogen und steuerte sie durch den Raum.
    Charles gab ihr ein Band in die Hand. »Hier - daran mußt du ziehen. Da müßte es klappen. Falls Amanda nicht den Mechanismus durcheinandergebracht hat.«
    Ich will nicht, dachte May. Ich will nicht, daß die Leute sehen, wie er mich sieht, was er über mich denkt, ich will es nicht, ich will nicht. Aber sie zog an dem Band.
    Lauter Applaus. Das Tuch fiel herab und enthüllte die Porträtstudie einer Dame in rotem Ballkleid, die auf einem vergoldeten Stuhl mit hoher Rückenlehne saß. May brauchte ein paar Sekunden, bis sie erkannte, daß es Mrs. Haldt, Christines Mutter, war.
    Sie starrte und starrte. Dann schluckte sie und sagte großmütig: »Das ist das beste Bild, was du je gemalt hast, Charles.«
    »Ich finde das auch. Aber bei einem solchen Modell ist das ja auch kein Wunder. Sie ist großartig .«
    »Ja. Aber wann hast du es gemalt?«
    »Sie mußten hierbleiben wegen des Streiks, verstehst du? Sie hat mir viele, viele Stunden gesessen.«
    »Wirklich?« Anscheinend hatte Charles selber seinen Trost gefunden.
    Doch plötzlich wurde ihr die Ungeheuerlichkeit seines Verhaltens bewußt. Sie fing an zu lachen und lachte immer weiter. Er sah sie gekränkt an.
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