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Schöne Khadija

Schöne Khadija

Titel: Schöne Khadija
Autoren: Gillian Cross , Tanja Ohlsen
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zu alt für die Schule! Und wie soll ich die Leute da verstehen?«
    »Dir bieten sich Möglichkeiten …«
    »Ich will keine Möglichkeiten. Ich will hierbleiben, bei euch!«
    Wir stritten uns während der ganzen Fahrt durch die Wüste und auch noch auf der Autobahn. Das ist das Einzige, woran ich mich bei dieser Reise erinnere, an unsere Stimmen, die hin- und hergingen, und die Verzweiflung, die mich umfing wie der Dornenzaun die Tiere in der Nacht.
    Wenn ich jetzt zurückdenke, wünschte ich mir, ich hätte geschwiegen und mir stattdessen die Landschaft angesehen. Ich werde nie wieder so durch die Wüste reisen – als jemand, der dorthin gehört. Diese Reise bedeutete das Ende von allem, was ich bis dahin gekannt hatte. Aber das war mir nicht klar und daher schimpfte und zeterte ich weiter.
    Schließlich hielt mein Vater den Wagen an. Er drehte sich zu mir um und unterbrach mich. »Es reicht!« Seine Stimme klang gebieterisch. »Wir werden gleich jemanden treffen und ich will mich nicht für dich schämen müssen. Du wirst dich ruhig verhalten und genaudas tun, was man dir sagt. Das ist der Mann, der dich nach England bringen wird.«
    Er fuhr wieder an und setzte die Fahrt schweigend fort, die Lippen fest zusammengepresst und den Blick auf die Straße gerichtet. Da bekam ich zum ersten Mal Angst. Mir wurde klar, dass er fest entschlossen war. Es würde wirklich so kommen.
    Kurz vor der Stadt trafen wir uns mit dem Schlepper. Er saß geduldig am Straßenrand und rauchte eine Zigarette. Als wir anhielten, machte er sie aus und stand auf. Mein Vater befahl mir auszusteigen.
    »Das ist also Khadija«, meinte der Schlepper.
    Ich wollte schon den Mund aufmachen und ihm sagen, dass das nicht mein Name war, aber er ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen.
    »Hier ist dein Pass.«
    Er gab ihn mir nicht, sondern hielt ihn nur so aufgeklappt, dass ich mein Foto sehen konnte, das Foto, das mein Vater in der Wüste gemacht hatte, und den Namen deutlich lesen konnte. Khadija Ahmed Mussa .
    »Das bist du«, sagte er. »Ich bin dein Onkel, Guleed Mussa Ali, und ich bringe dich zu deiner Familie in England.«
    Was für eine Familie?
    Mein Vater stieg aus und legte mir den Arm um die Schultern. »Hör auf deinen Onkel. Merke dir alles, was er dir erzählt. Wenn du es dir nicht richtig merkst, könntest du Schwierigkeiten bekommen.«
    Der Schlepper blickte stirnrunzelnd auf das Bündel in meinen Händen. »Was ist das?«
    Ich verstand die überflüssige Frage nicht. »Das sind die Sachen, die ich mitgenommen habe.«
    Er sah meinen Vater finster an. »Das kann sie im Flugzeug nicht mitnehmen. Haben Sie die Sachen gekauft, die ich Ihnen genannt habe?«
    Mein Vater nickte, ging zum Kofferraum des Wagens und holte eine billige Reisetasche aus Plastik heraus. Bevor ich noch ahnte, waser vorhatte, nahm er mir mein Bündel weg – in dem alles war, was ich besaß –, warf es ins Auto und stellte mir die Tasche vor die Füße.
    »Mach sie auf«, verlangte der Schlepper ungeduldig. »Du musst wissen, was darin ist.«
    Ich zog den Reißverschluss auf und sah hinein. Es war nicht viel. Ein paar Kleidungsstücke in gedeckten Farben, ein kleiner Beutel mit Toilettenartikeln und ein Kopftuch. Kein großes buntes Somali-Kopftuch wie ich es gerade trug, sondern nur ein Stück dünner schwarzer Stoff.
    »Du brauchst nicht viel«, meinte mein Vater. »Du kommst in eine gute Familie. Sie werden sich um dich kümmern.«
    Der Schlepper wedelte ungeduldig mit der Hand und befahl mir, die Tasche zu nehmen. Als ich danach griff, fragte er mich barsch: »Wie heißt du?«
    Ich vermutete, dass er mich hereinlegen wollte, aber darauf war ich gefasst gewesen. »Ich bin Khadija«, antwortete ich. »Khadija Ahmed Mussa.« Der Name hatte sich mir bereits eingeprägt.
    »Und wer bin ich?«
    »Sie sind Guleed Mussa Ali.«
    »Guleed Mussa Ali …?«
    Zuerst verstand ich nicht, was er meinte, doch er und mein Vater beobachteten mich scharf, daher war mir klar, dass das ein Test war. »Guleed Mussa Ali …«, wiederholte ich langsam. Und dann fiel es mir plötzlich wieder ein. »Onkel. Ich muss Sie Onkel nennen.«
    »Denk daran«, verlangte er. Er lächelte nicht. »Und jetzt nimm deine Tasche und komm. Wir müssen das Schiff finden.«
    Er ging die Straße entlang und ich sah meinen Vater an, immer noch in der Hoffnung, dass es einen Ausweg gab. Aber es gab keinen. Mein Vater schüttelte den Kopf.
    »Ich tue etwas wirklich Gutes für dich«, erklärte er mir.
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