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Schöne Khadija

Schöne Khadija

Titel: Schöne Khadija
Autoren: Gillian Cross , Tanja Ohlsen
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»Ich habe eine Menge Geld dafür bezahlt, dass du sicher nach England kommst. Verschwende es nicht.«
    »Aber ich habe dich nicht darum gebeten …«
    Er nahm mich an den Armen und sah mich fest an. »Hör zu«, verlangte er. »Hier kannst du nichts tun. Für Leute wie uns, die mit ihren Tieren herumziehen, wird es immer schwieriger. Bald werden wir nichts mehr haben. Wenn du nach England gehst, wirst du der ganzen Familie helfen können. Und vielleicht kannst du eines Tages zurückkommen und auch Somalia helfen.«
    Noch vor einer Woche war ich nur ein ganz normales Mädchen gewesen, das die Ziegen hütete und erwartete, ihr Leben so zu leben wie ihre Mutter es getan hatte. Ich hatte geglaubt, dass ich eines Tages einen Ehemann haben würde und Kinder, um die ich mich kümmern und die ich erziehen musste. Und jetzt war ich plötzlich für meine ganze Familie verantwortlich  – und für das Schicksal meines Landes. Einen Moment lang war ich zu entsetzt, um meinem Vater zu antworten. Aber ich wusste, dass er seine Meinung nicht ändern würde. Er hatte mich für diese Aufgabe ausgesucht und ich musste sie übernehmen. Also riss ich mich zusammen und sah ihm in die Augen.
    »Ja«, sagte ich, »das werde ich.«
    Für mehr blieb uns keine Zeit. Der Schlepper rief schon ungeduldig über die Schulter nach mir, weil er fürchtete, das Boot könnte ohne uns ablegen. Mein Vater tätschelte mir den Arm und sprang dann ins Auto, wendete schnell und fuhr mit eisernem Gesichtsausdruck davon.
    Ich nahm die Plastiktasche und ging die Straße entlang zu dem Mann, der mich wegbringen sollte.
     
    Zuerst brachte er mich nach Kenia, in einem Boot. Diese Reisen sind sehr gefährlich, denn die Boote sind stets überladen und das Meer ist voller Haie. Hunderte von Menschen sind bei dem Versuch, dasselbe zu tun wie ich, auf schreckliche Weise umgekommen. Aber das habe ich erst viel später erfahren. So lange wir auf See waren, hatte ich ganz andere Sorgen.
    Es war ein kleines Boot und ich saß fest eingeklemmt zwischen Menschen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich war zum ersten Mal auf einem Boot und niemand hatte mich gewarnt, dass es schaukelnund schwanken würde, wenn die Wellen dagegenschlugen. Ich hatte Angst und glaubte, mich jeden Moment übergeben zu müssen.
    Um mich abzulenken, schloss ich die Augen und konzentrierte mich darauf, was mir der Mann beigebracht hatte. Das wiederholte ich immer und immer wieder.
    Mein Name ist Khadija Ahmed Mussa. Ich bin dreizehn Jahre alt. Ich gehe nach England zu meiner Mutter und meinen Geschwistern. Die Namen meiner Schwestern sind Fowsia, Maryan und Sahra. Fowsia ist elf, Maryan ist sieben und Sahra ist vier. Und mein Bruder Abdi ist vierzehn.
    Ich versuchte erst gar nicht, mir ihre Gesichter vorzustellen oder wie sie waren. Sie waren für mich keine Menschen, sondern nur Worte, die ich auswendig lernen musste. Wenn ich es falsch machte, würde man mich nicht nach England lassen und mein Vater hätte sein Geld umsonst ausgegeben.
    Mein Name ist Khadija …
    Diese Stunden im Boot waren die schlimmsten meines Lebens. Ich überlebte sie, indem ich mich von den Geschehnissen um mich herum abschottete. Und als wir in Kenia landeten, fühlte ich mich wirklich wie ein anderer Mensch.
     
    Was mit mir geschah, nennt man Hambaar . Huckepack. Der Onkel nahm mich »Huckepack« mit nach England, für das Geld, das mein Vater ihm dafür bezahlt hatte. Das war sein Geschäft und er tat genau das, was er versprochen hatte. Nicht mehr und nicht weniger.
    Nachdem wir von Bord gegangen waren, reisten wir erst auf der Straße und dann mit dem Flugzeug weiter und jedes Mal, wenn wir durch eine Kontrolle mussten, lächelte mich mein Begleiter freundlich an. Das gehörte zu seinem Job. Sobald wir durch waren, packte er das Lächeln zusammen mit meinem Pass wieder ein und ignorierte mich, selbst wenn wir nebeneinandersaßen.
    Beim Umsteigen in Dubai hätte ich weglaufen können. Der Mann wies auf einen Stuhl am Flughafen und befahl mir, mich dorthin zu setzen und zu warten, bis er kam und mich holte. Aber wo hätte ichhinlaufen sollen? Ich kannte den Ort nicht und hatte nur den Pass, der sich in der Tasche des Onkels befand. Mein Vater hatte dafür bezahlt, dass ich nach England ging, also musste ich das auch tun. So saß ich da, zitterte in der klimatisierten Luft und wiederholte immer wieder dieselben Worte: Mein Name ist Khadija …
     
    Als wir in England landeten, war der Himmel grau und es regnete.
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