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Schöne Khadija

Schöne Khadija

Titel: Schöne Khadija
Autoren: Gillian Cross , Tanja Ohlsen
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dann Maryan, dann Sahra. Aber meine Leiter ist die längste und sie wächst sehr schnell. Das macht mich richtig froh, denn ich kann es gar nicht abwarten, so groß zu sein wie mein Vater. Er hat bei seiner eigenen Größe ebenfalls eine Markierung gesetzt, damit ich mein Ziel immer vor Augen habe.
    Wie nah bin ich an ihm dran?
     
    Ich werde es nie erfahren, denn wir wohnen dort nicht mehr. Ich war zehn, als wir nach England zogen – und mein Vater aufhörte, uns zu besuchen.
    Aber er blieb mit uns in Kontakt. Er schickte uns an den Ort, wo neben vielen anderen Somalis Suliman Osman und seine Familie wohnten. Das ist ein Teil von London, den man Battle Hill nennt. Dort hatte Suliman eine Reihe von Internetcafés eröffnet. Ich ging jede Woche zu einem, das ganz bei uns in der Nähe war. Und immer erwartete mich dort eine E-Mail: Hi Abdi! Wie geht es? Das waren ja gute Neuigkeiten von demFußballspiel … Mein Vater erinnerte sich immer daran, was ich gerade tat und was ich gerne mochte. Und seine Mails endeten immer gleich. Kümmere dich um Maamo und deine Schwestern, bis ich wiederkomme. Ich bin stolz auf dich. Abbo.
    Aber er kam nie.
    »Er hat uns immer noch lieb«, erklärte uns Maamo. »Aber es ist jetzt schwieriger. Er kann nicht mehr so einfach wie früher hin- und herreisen. Wir müssen eine Menge Geld sparen, damit er hierherkommen und für immer bei uns bleiben kann – bis wir wieder nach Hause nach Somalia gehen können.«
    Dass wir sparen mussten, war auch der Grund dafür, dass ich meine E-Mails in Suliman Osmans Café lesen musste. Wir konnten uns keinen eigenen Computer leisten, weil wir jeden Penny brauchten, um Abbo nach England zu holen.
    Sonntags setzten Maamo und ich uns hin, zählten, was wir in der Woche gespart hatten, und bauten kleine Münzstapel auf dem Küchentisch. Am Montag brachte Maamo das Geld dann zu Onkel Osman Hersi, damit er es für uns aufbewahrte. So machten wir es jeden Sonntag, drei Jahre lang. Als ich dreizehn war, hatten wir endlich genügend Geld zusammen und Onkel Osman kam und sagte uns, dass es zu meinem Vater geschickt worden sei. Als er ging, tanzte Maamo in der Küche herum und sang Lieder aus Somalia.
    Wir dachten natürlich, dass Abbo uns eine E-Mail schicken würde, um uns zu sagen, wann er kommen würde. Aber wir hörten nichts von ihm. Es kamen überhaupt keine Mails mehr von ihm. Einmal war noch die übliche Nachricht gekommen, voller Neuigkeiten und Fragen, mit lustigen Geschichten und Scherzen. Und dann … nichts mehr.
    Jeden Tag sah ich in meinen Posteingang, in der Schule und abends im Café noch einmal. Suliman musste erraten haben, warum ich immer wiederkam. Eine Zeit lang sagte er seinem Angestellten, dass ich zehn Minuten am Tag kostenlos ins Internet dürfte. Mehr brauchte ich nicht – es sei denn, ich musste Hausaufgaben machen – denn die Nachricht, auf die ich wartete, kam nie.Zuerst versuchte Maamo herauszufinden, was passiert war. Sie schickte ihre Frage um die ganze Welt, von einem Somali zum nächsten. Wo ist Ahmed Mussa Ali? Aber niemand schien eine Antwort zu haben.
    Eines Tages, als ich von der Schule nach Hause kam, erzählte sie mir, er sei tot.
    Sie versuchte nicht einmal, es mir schonend beizubringen. Sie sagte einfach nur: »Dein Vater ist tot.«
    Als ich die natürliche Frage stellte, wann und wo das passiert sei, und wer schuld sei – da wurde ihr Gesicht abweisend, als sei die Geschichte zu schmerzhaft, um sie zu erzählen. Sie weigerte sich, darüber zu reden.
    Wenn ich mir danach das Gesicht meines Vaters vorzustellen versuchte, dann sagte er immer dasselbe. Pass auf Maamo und deine Schwestern auf, bis ich wiederkomme. Ich bin stolz auf dich … Ich spürte die Last auf meinen Schultern wie ein schweres Gewicht.
     
    Es war etwa sechs Monate später, als ich bei meiner Rückkehr aus der Schule sah, dass wir Besuch hatten. Es war Sulimans Vater, Onkel Osman, mit seiner Frau, Tante Safia. Sie saßen im Wohnzimmer und tranken Tee mit Maamo. Die Wohnung war sehr ruhig und aufgeräumt und von meinen Schwestern war nichts zu sehen.
    Maamo goss mir eine Tasse Tee ein und bedeutete mir mit einem Kopfnicken Richtung Sofa, dass ich mich zu Onkel Osman setzen sollte. Dann unterhielt sie sich weiter mit Tante Safia, während Onkel Osman mich anlächelte.
    »Du machst dich sehr gut«, stellte er fest. »Und deine Schwestern werden gute, vernünftige Mädchen.« Als ich mich umsah und mich fragte, wo sie wohl waren, lächelte er wieder
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