Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schönbuchrauschen

Schönbuchrauschen

Titel: Schönbuchrauschen
Autoren: Dietrich Weichold
Vom Netzwerk:
zur Erschöpfung ab. Noch einmal im Leben wollte er es sich zeigen. Der Schweiß lief ihm über die Stirn und biss in den Augen, sein Atem fauchte und pfiff, und die Muskeln seiner Oberschenkel wurden mit jeder Kurve noch etwas härter. Völlig nassgeschwitzt erreichte er am Ende der Steige das Gatter und fuhr noch zweihundert Meter weiter, bis er den höchsten Punkt erreicht hatte. Von dort aus ging es nur noch bergab nach Breitenholz hinunter. Er war so fertig, dass er das Rad einfach umfallen ließ. Noch völlig außer Atem griff er nach seinem Handy. Wahlwiederholung. Es funktionierte.
    »Hallo Siggi. Hier ist OW. Ich rufe … von … ich rufe … aus dem Goldersbachtal an.«
    »Hallo! Wo bist du? Im Schönbuch? Da wäre ich jetzt auch recht gern.«
    »Du musst auch kommen, sofort. Hier sitzt ein Toter an der Grillstelle.«
    »Ich dachte schon, mein Fahrrad sei kaputtgegangen.«
    »Nein. Siggi, keine Witze, jetzt glaub mir doch, auch wenn es unglaublich klingt: Ich habe eben zum zweiten Mal einen Toten entdeckt, ehrlich.«
    An so viel Zufall wollte Kupfer nicht glauben. Er war seit Jahrzehnten Kriminalbeamter und war immer zu den Toten gerufen worden, selbst gefunden hatte er noch nie einen. Anders sein Freund OW, der pensionierte Gymnasiallehrer. Er hatte vor ein paar Jahren frühmorgens nach dem Schwimmen die Leiche eines ermordeten Bankers und Finanzmaklers in einer Umkleidekabine des Herrenberger Hallenbads entdeckt. Und nun sollte OW zum zweiten Mal zufällig eine Leiche gefunden haben? Und wieder bei einer sportlichen Betätigung? Das war doch ein Witz! Erst vor ein paar Tagen, als OW das Fahrrad bei ihm abholte, hatte er noch darauf angespielt, indem er zu ihm gesagt hatte, er solle aber vorsichtig damit umgehen und nicht über irgendwelche von Wilderern hingemeuchelten Förster wegfahren. Sonst bekäme er, trotz aller Stabilität des Citybikes, einen Achter ins Vorderrad.
    »Das gibt’s doch nicht. Keine Zeit für Scherze«, sagte er deswegen etwas unfreundlich. »Ich muss gleich zu einer Besprechung.«
    »Es ist ernst, Siggi, todernst. Hier sitzt wirklich ein Toter an einem dieser überdachten Sitzplätze, Alter zwischen dreißig und vierzig, würde ich sagen. Kein Blut, keine Kampfspuren. Ich dachte erst, er schläft, so friedlich sieht er aus; aber er ist mausetot.«
    »Wo genau bist du?« Kupfer klang nun ganz professionell.
    »Ganz oben an der Breitenholzer Steige.«
    »Wieso? Du hast doch eben gesagt, du wärst im Goldersbachtal.«
    »Ja, klar, dort ist der Tote.«
    »Wie jetzt? Wo bist du?«
    »Ich habe dort unten keinen Netzanschluss bekommen und musste erst den Berg hochfahren. Aber ich habe einen Zettel dort gelassen.«
    »Was denn für einen Zettel?«
    »Dass ich ihn gefunden habe und es der Polizei melde. Damit ihr nicht doppelt kommt. Und dann bin ich hier hochgefahren. Ich bin völlig fertig.«
    »Man merkt’s.«
    »Und, kommst du jetzt?«
    »Kommt auf den Ort an.« Kupfers Stimme klang abweisend. »Wo genau ist der Tote?«
    »Am Grillplatz an der Neuen Brücke.«
    »Das ist Staatsforst, nicht unser Gebiet«, sagte Kupfer trocken. »Ich leite das nach Stuttgart weiter und gebe dabei deine Handynummer an. Lass das Ding eingeschaltet und bleib dort. Die Staatsanwaltschaft …«
    »Ich bin nicht mehr dort!«
    »Ach so, klar. Die Staatsanwaltschaft oder die Stuttgarter Kollegen werden sich gleich bei dir melden. Ich muss jetzt Schluss machen. Ruf mich bitte heute Abend an. Es interessiert mich natürlich, wie der Fall weitergeht.«
    Kupfer hängte auf.
    Es war klar, dass OW zunächst auf den Anruf warten musste. Aber sollte er dann wirklich wieder ins Tal hinunterfahren, um dann auf dem Heimweg noch einmal eine lange Steigung überwinden zu müssen? Seine Knie waren jetzt schon weich geworden. Dazu hatte er absolut keine Lust mehr. Er würde zum Entringer Bahnhof hinunterfahren und von dort aus die Ammertalbahn nehmen.
    Aber zuerst setzte er sich an den Wegrand, öffnete endlich eine Bierdose und tat einen langen Zug. Er biss in sein Vesperbrot, und gerade als er den Mund richtig voll hatte, kam der Anruf. Seinen Namen brachte er heraus, und dann brauchte er glücklicherweise nicht mehr viel zu sagen. Die Tübinger Polizei war alarmiert worden und nahm sich der Sache an. Er solle ruhig nach Hause fahren. Morgen würde ihn ein Polizeibeamter aufsuchen und seine Aussagen zu Protokoll nehmen.
    OW fühlte sich erleichtert, als er den Wald hinter sich lassen konnte und die Steige hinunterfuhr. Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher