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Schönbuchrauschen

Schönbuchrauschen

Titel: Schönbuchrauschen
Autoren: Dietrich Weichold
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doch etwas geschlafen haben. Er stand auf und ging ins Bad. Er spülte seinen Mund aus und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht.
    Dann schaute er aus dem Fenster. Es war noch nebliger geworden, ungewöhnlich neblig für die Jahreszeit. Er zog seinen Anorak an und setzte sich eine wollene Dockermütze auf, die knapp über seinen Augenbrauen saß und die ganze Stirn bedeckte. Darüber schnallte er seinen Fahrradhelm und griff nach seinem Rucksack. Als er schon an seiner Wohnungstür war, kehrte er noch einmal um. Aus dem Regal hinter der Küchentür, wo alles Mögliche durcheinanderlag, nahm er ein kleines Werkzeugset und steckte es in seinen Rucksack.
    Leise schloss er die Tür hinter sich. Er blieb stehen und lauschte. Es war so still, als wäre er allein auf der Welt. Wie auf Katzenpfoten schlich er die Treppen hinunter, öffnete im Zeitlupentempo die Haustür und trat hinaus. Weiter als hundert Meter konnte man nicht sehen. Umso besser. Lautlos schloss er sein Fahrradschloss auf und zog das Rad aus dem Ständer, dann trat er in die Pedale. An der Ecke schaute er noch einmal zurück. Der schwache Schein der Straßenlaterne drang kaum durch den Nebel. Er konnte sein Wohnzimmerfenster fast nicht mehr erkennen. Es war genauso dunkel wie alle anderen Fenster des Hochhauses.
    Er fuhr schnell, so dass ihm warm wurde. Den kalten Fahrtwind spürte er nur in den Augen.
    Als er vom Postplatz in die Gegend unterhalb des Krankenhauses hinauffuhr, schaltete er auf den kleinsten Gang herunter und ließ sich Zeit. Er wollte nicht schwitzen und nicht außer Atem kommen. In einer kleinen Seitenstraße, wo ein paar Büsche ihre Äste über den Zaun hinweg auf den Gehweg streckten, stieg er ab, schloss sein Fahrrad an der dunkelsten Stelle an einen Gartenzaun und ging zu Fuß weiter. Es begegnete ihm niemand.
    Er dachte an seine zufällige Begegnung mit Flipp. Neulich erst war es gewesen, in den letzten Augusttagen beim Stuttgarter Weindorf. Nach einer Frühschicht hatte es ihn an diesem schönen Tag nicht gleich nach Hause gezogen. Er wollte das schöne Wetter genießen und fuhr von Degerloch in die Stadt hinunter. Im Weindorf brodelte das Leben. Zwischen der Alten Kanzlei und dem Rathaus drängten sich gutgelaunte Menschen um die Stände, prosteten einander zu und amüsierten sich. Allein kam er sich etwas verloren vor. Seine Kollegen hatten Dienst oder waren im Moment nicht erreichbar, und bis zu Lauras Feierabend waren es noch Stunden. Ziellos schob er sich durch die Menge, ohne sich zu irgendetwas entschließen zu können.
    Er hätte Flipp an dem Tisch an der Ecke des Rathauses glatt übersehen, wenn der ihm nicht nachgerufen hätte.
    »Theo! Theo!«
    »Hallo Flipp! Dich habe ich ja ewig nicht gesehen.«
    Flipp war in Begleitung eines Kollegenpaars.
    »Was für ein Glück, dass ich dich jetzt gerade treffe. Die beiden wollen nämlich schon heimgehen, und ich habe absolut keine Lust, hier allein herumzustehen. Und nach meiner Wohnung ist mir’s jetzt noch nicht.«
    Theo fand Flipps unerwartete Herzlichkeit etwas überraschend, was er sich aber nicht anmerken ließ.
    »Okay, ich kann dir gerne ein bisschen Gesellschaft leisten.«
    »Theo Krumm oder der krumme Theo«, stellte ihn Flipp seinen Bekannten vor. »Wir haben einmal kurze Zeit miteinander studiert, ehe Theo plötzlich meinte, Pfarrer werden zu müssen.«
    Theo konnte dazu nur säuerlich lächeln.
    »Theo hat Theologie studiert?«, fragte die junge Frau amüsiert. »Sie sind Pfarrer?«
    »Nein, daraus wurde nichts. Ich bin Rettungssanitäter und bin gespannt, was sonst noch aus mir wird.«
    »Interessant. Eine offene Zukunft. Aufregend, oder?«
    »Ab und zu mal«, tat Theo das Thema ab und machte eine resignierte Handbewegung.
    Das Paar verabschiedete sich.
    »Setz dich hierher, ich hole uns was«, sagte Flipp, verschwand für einen Moment und kam mit zwei Gläsern Rotwein zurück.
    »Lass stecken. Ich gebe einen aus«, sagte er, als Theo nach seinem Geldbeutel griff.
    »Also gut, danke. Aber dann zahle ich …«
    »Kommt gar nicht in Frage. Heute will ich mir einen gönnen; mir ist’s einfach danach. Lass dich halt einladen.«
    Schon beim ersten Glas erzählte er, dass sein Vater im letzten Jahr gestorben war und seine Mutter in einem Pflegeheim gut untergebracht sei.
    »Weit weg«, fügte er hinzu, als Theo ein betretenes Gesicht machte. »Ich muss sie nicht jedes Jahr besuchen. Wahrscheinlich kennt sie mich ohnehin nicht mehr.«
    Theo wusste nicht, was er dazu sagen
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